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Kultur: Schädel im Farbmixer

Dirk Wittenborn sucht sein jugendliches Glück „Unter Wilden“

LITERATUR

Erwachsen werden ist schon eine Strafe. „Wir hatten eine Abneigung gegen das, was aus uns werden sollte“, erkennt der 15-jährige Finn in einem grimmigen Moment. Verklärt wird die Jugendzeit erst hinterher. Der greise, stinkreiche Ogden C. Osborne, dessen Fotosammlung Finn ordnet, wird beim Betrachten seiner alten Schnappschüsse nostalgisch: „Gott, es ist toll, wenn man jung ist... außer wenn man jung ist.“ Und von wegen erste Liebe!

Im Sommer 1978 muss Finn mit seiner flippigen Mutter wegen einer Drogensache aus New York verduften und findet in einem Landhaus des Milliardärs Osborne, eines Massagepatienten seiner Mutter, Unterschlupf. Eigentlich sollte Finn seinen Vater endlich kennen lernen und im Amazonasgebiet besuchen. Doch die Ostküstenaristokratie bietet Finn reichlich Ersatz. Schnell gerät er in den Bann dieser exotischen Leute und findet seine erste Liebe: Osbornes exzentrische Enkelin Maya, und er erleidet den ersten Liebeskummer: „Ich hatte das Gefühl, ich würde in eine gigantische Kloschüssel runtergespült.“

Je länger er sich in der Geldaristokratie tummelt, desto schneller wird er erwachsen. Er lernt, worauf es ankommt, auch wenn es schmerzt: auf Wahrhaftigkeit. Und auf Geld. „Unter Wilden“, der dritte Roman des 1952 geborenen New Yorkers Dirk Wittenborn macht Anleihen beim Jugendjargon und beim Raymond-Chandlerhaften: „Mein Schädel fühlte sich an, als hätte er die Nacht über in einem Farbmixer gelegen.“ Das macht diesen Entwicklungs- und Gesellschaftsroman so informativ wie unterhaltsam. Und dass der Autor sich in der Materie auskennt, dafür steht sein Dokumentarfilm „Born Rich“, der die Jugend der Ostküstenaristokratie porträtiert. Da Wahrhaftigkeit in der Tat eine Tugend ist, soll nicht verschwiegen werden, dass „Unter Wilden“, was Sprachfluss und Spannungswerte angeht, typisch angelsächsische Romanqualitäten hat. Aber man wird den Eindruck einer gewissen Uniformität nicht los. Wittenborns Roman ist im besten Sinne – angenehmes Lesefutter.

Dirk Wittenborn: Unter Wilden. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans Wolf. DuMont, Köln 2003. 414 Seiten, 22,90 €.

Peter Köhler

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