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Kultur: Schafe und Kühe, Birken und Buchen

So hässlich wie das Leben: Weimar feiert die Schule von Barbizon und ihren Einfluss auf die deutsche Kunst

Als Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, daran ging, seine Residenzstadt neuerlich zum Mittelpunkt von Kunst und Kultur zu machen, wollte er „solche Geister“ nach Weimar berufen, die „die Kunst in ihrer Heiligkeit erkennen und ausüben und sich dabei fest binden an den nationellen Boden“. So schrieb er es 1858 nieder, nachdem er in München sein künstlerisches Erweckungserlebnis gehabt hatte.

Doch dann kam es an der 1860 gegründeten Großherzoglichen Kunstschule anders, als es sich Carl Alexander, der Enkel des Klassiker-Mäzens Großherzog Carl August, vor einem Bild des Historienmalers Karl Theodor von Piloty in München erträumt hatte. In Weimar wurden keine erhebenden Historien gemalt, sondern Landschaften von einer prosaischen Nüchternheit, wie sie in der näheren Umgebung beinahe gar nicht anzutreffen war. Und dann lagen die Vorbilder auch auf französischem, nicht auf „nationellem“ Boden: in Frankreich, in der Gegend von Fontainebleau, wo die Anhänger der École de Barbizon düstere Wälder, schwere Wolken und weidendes Vieh malten.

Schon 1876 hieß es, die in Weimar tätigen Maler nähmen „in der Kohorte der Realisten den linken Flügel ein“: „Eine trübe Herbststimmung, ein sprossender Wald im Vorfrühling, nackte Birken und magere Wiesen, verfallene Bauernhütten und kotige Landstraßen“, schrieb der Berliner Kritiker Adolf Rosenberg, „das sind die Requisiten, aus denen die Weimaraner ihre Bildchen zusammensetzen“. Das war richtig gesehen, aber ungerecht beurteilt. Es war in der Tat in Weimar, wo die Werke von Théodore Rousseau, JeanFrançois Daubigny und Camille Corot begeisterte Aufnahme fanden. Mit den Barbizon-Malern begann eine Malerei des Unspektakulären, die in der Darstellung ihrer Motive zugleich eine zunehmend freie peinture entwickelte.

Die Weimarer Freiluftmalerei des späten 19. Jahrhunderts ist, anders als die gleichzeitigen „Schulen“ von München oder Düsseldorf, nahezu in Vergessenheit geraten. So bedeutet die Ausstellung „Hinaus in die Natur! Barbizon, die Weimarer Malerschule und der Aufbruch zum Impressionismus“, die die Klassik Stiftung Weimar zum 150. Gründungsjubiläum der Großherzoglichen Kunstschule ausrichtet, eine Wiederentdeckung.

Der „Realismus“, unter dem in Frankreich alle Strömungen jenseits der strikten Ateliermalerei gefasst wurden, war in Weimar von Anfang an verankert. Hatte der Großherzog noch Piloty zum Direktor seiner Kunstschule machen und damit die akademische Historienmalerei propagieren wollen, kamen stattdessen die Freiluftmaler zum Zuge. Die Erkundung der thüringischen Landschaft wurde zur Pflicht; doch nicht die romantisch-lieblichen, sondern die profanen Aspekte dieser Landschaft wurden bildwürdig. Die Ausstellung, von Kustodin Gerda Wendermann mit beeindruckender Sorgfalt erarbeitet, macht die Weitergabe des Barbizon-Impulses an Weimar augenfällig. Albert Brendel, der selbst seit 1855 regelmäßig in Barbizon und dem nahen Wald von Fontainebleau gemalt hatte und seit 1875 in Weimar lehrte, Theodor Hagen, 1871 an die Kunstschule berufen, Carl Buchholz, Paul Baum, Leopold von Kalckreuth, Ludwig von Gleichen-Russwurm, das sind die wichtigsten Namen, die heute erst wieder in einen Zusammenhang mit Weimar, der vermeintlich ganz auf Literatur und Musik fokussierten Musenstadt, gebracht werden müssen. Und dass sogar Arnold Böcklin und Franz Lenbach, so gegensätzlich ihre Entwicklung bald auch verlaufen mochte, anfangs einträchtig als Landschaftsmaler in Weimar tätig waren, hält die Ausstellung als Überraschung bereit. Und deutlicher denn je wird, aus welchen Quellen Max Liebermann schöpfte, der fünf Jahre lang in Weimar studiert hatte, ehe er 1874 mit den Arme-Leute-Motiven der „Kartoffelsammlerin“ und der „Arbeiterin im Rübenfeld“ hervortrat und bald darauf nach Frankreich ging – nach Barbizon, versteht sich.

Auch andere Verbindungslinien lassen sich ziehen. Von Leopold von Kalckreuth – 1903 erster Präsident des in Weimar begründeten Deutschen Künstlerbundes – ist als größtes Format der Ausstellung der „Dachauer Leichenzug“ von 1883 zu sehen, der ohne das Vorbild von Courbets „Begräbnis in Ornans“ wohl kaum zu denken wäre. Überhaupt ist Courbet als Wortführer des réalisme in Weimar stets präsent, nicht zuletzt in den Arbeiten von Christian Rohlfs wie dem „Steinbruch bei Weimar“ von 1887.

Und doch erfährt die realistische Landschaftsmalerei nur eine halbe Rehabilitation. Weil alles, wie der Titel der Ausstellung besagt, auf den Impressionismus hinweist, der doch in Wahrheit nicht das telos einer geradlinigen Entwicklungslinie darstellt, zu dem ihm die amerikanisch dominierte Kunstgeschichtsschreibung der Moderne verklärt hat, sondern eine zeitliche Parallelerscheinung. In Weimar verschmelzen Naturalismus und Impressionismus, was die malerische Technik anbelangt – nicht jedoch, und da führt der Ausstellungstitel in die Irre, in der Wahl der Motive. Weimar ist nicht das großstädtisch-bourgeoise Paris der Impressionisten. In Weimar werden weiterhin Schafe und Kühe, Birken und Buchen, Chausseen und Feldwege gemalt, in Weimar kommt zudem der Einfluss der ganz ähnlich gerichteten Haager Schule hinzu. Ein Höhepunkt, ein stilles Meisterwerk ist Paul Baums „Weg nach Niedergrunstedt“ von 1886, ein Gemälde, das keinem flüchtigen Blick genügt, sondern Hinschauen verlangt, auf nicht mehr als 66 mal 96 Zentimeter.

Die Ausstellung im Neuen Museum, das Carl Alexander 1869 im Rahmen seiner Bemühungen um die Bildende Kunst erbauen ließ, bedeutet einen Meilenstein. Zwei Fragen indes bleiben offen: Wer sammelte diese unspektakuläre Kunst, wer hängte sich bäurischen Alltag in den großbürgerlichen Salon? Und: Warum haben die Landschafter keine Schweine gemalt?

Weimar, Neues Museum, bis 30. Mai, Di–So 10–18 Uhr. Katalog im Kerber Verlag, 360 S., 39 €, im Buchhandel 48 €.

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