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Kultur: Schatten und Schaudern

Das Berliner Brücke-Museum zeigt Karl Schmidt-Rottluffs Holzdrucke.

Landschaften, Sonnenuntergänge, verfremdete Gesichter – sie wirken wie von einem energetischen Strom getrieben, der jedes Objekt mit einem Charakter beseelt. Bei den Holzdrucken von Karl Schmidt-Rottluff (1884 bis 1976) kommt der Expressionismus als psychologisches Verwirrspiel daher.

Auch bei der „Bucht“ von 1913/14 ist das so. Kleine ockerfarbene Fischerhäuschen drängen ins mattblau gefärbte Meer, als ob sie sich vom Fundament gelöst und für ein Leben im Wasser entschieden hätten. Jedem Bild wohnt ein Widerspruch inne, der mühsam entschlüsselt werden muss – wie bei einer psychoanalytischen Sitzung.

Der große Saal im Brücke-Museum beherbergt 22 der insgesamt 207 erhaltenen Drucke des in Chemnitz geborenen Künstlers. Auf der einen Seite sind die Holzstöcke präsentiert, die für sich genommen bereits als eigenständige Kunstwerke gelten können. Ihnen gegenüber hängen die gedruckten Ergebnisse.

Durch die groben, nicht immer sauber gekerbten Originale wird der Zufall Mitautor im Produktionsverfahren. In die Katzen-, Berg- und Baummotive schummeln sich kleine schwarze Strichfetzen hinein, die an die spröde Ästhetik des Schwarz-Weiß-Films erinnern. Dünen werden zu Monstern, Menschen zu Objekten. Das schönste Beispiel liefert das „Mädchen vor dem Spiegel“ (1914), das sich ungläubig wegdreht, als wollte es sich dem eigenen, irritierenden Anblick entziehen. Den Arm rechtwinklig positioniert, die Schlitzaugen nach außen gewendet, erfährt der Körper in den stummen Schatten seinen mystischen Sinn. Der Betrachter konzentriert sich zwangsläufig auf das Spiegelbild des Mädchens, wo neben den menschlichen Umrissen zackige Blitze wie Boten des Unbehagens erscheinen. Man kann es mit Freud sagen: In der Unruhe liegt die Kraft. Tomasz Kurianowicz

Brücke-Museum, Bussardsteig 9, bis 22. April; Mi-Mo 11-17 Uhr.

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