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Schauspielerin Hannah Herzsprung: „Sie sagte: Du darfst das Pferd nicht loslassen!“

Hannah Herzsprung hat schlechte Erfahrungen gemacht: im Reitstall, mit brennenden Adventskränzen, Journalisten und auf Youtube. Hier klärt sie auf

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Hannah Herzsprung, 31, wurde als Schauspielerin u.a. durch „Der Baader Meinhof Komplex“ und TV-Serien wie „Weißensee“ bekannt. Sie bekam den Grimme-Preis, den Deutschen Fernsehpreis sowie den Bambi. Im Kino ist sie ab dem 26.12. in „Ludwig II“ zu sehen – als Kaiserin Sissi. Herzsprung lebt in Berlin

Frau Herzsprung, haben Sie am Kiosk neulich die Schlagzeile der „Bild“ gesehen?
Nicht direkt, ein Freund hat sie mit seinem Smartphone aufgenommen und geschickt.
Wir haben Ihnen die Ausgabe mitgebracht. Auf dem Titel steht in großen Buchstaben: „Hannah Herzsprung – die schönste Sissi seit Romy Schneider“.
Das ist ein Kompliment. Aber ich möchte mich nicht mit Romy Schneider vergleichen. Sie besaß eine Ausstrahlung, ein Charisma, das man gar nicht spielen kann.
Wir haben uns in den vergangenen Tagen die alten Sissi-Filme aus den 50er Jahren angesehen. Ehrlich gesagt, das ist ganz großer Kitsch.
Natürlich ist das kitschig, auch sehr leicht erzählt. Und trotzdem liebe ich die Trilogie. Ich hab die Filme zum ersten Mal mit zehn Jahren gesehen, und dann immer wieder mit meiner älteren Schwester. Sobald sie auf VHS-Kassetten rauskamen, habe ich mir die zu Weihnachten gewünscht.

Romy Schneider litt sehr unter dem Image, das ihr die drei Sissi-Filme eingebracht haben.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es unangenehm ist, wenn man eine Rolle drei Mal spielt und dann fürchten muss, für immer darauf festgelegt zu sein. Das wird mir mit meiner Sissi nicht passieren. Sie spielt in „Ludwig II“ nur eine kleine Rolle.
Wir waren enttäuscht, Sie nicht öfter zu sehen.
Es wurden ein paar Szenen mit mir rausgeschnitten, weil der Film zu lang geworden ist. Aber es geht ja auch um die Geschichte von Ludwig.
Sie haben sich geärgert?
Nein, so was ist völlig normal. Es gibt ein paar tolle Szenen, die Sissi zeigen, wie man sie noch nicht kannte. Mit offenen Haaren zum Beispiel. Sie war sehr sportlich, man hat sie in Hosen gesehen, ungewöhnlich für die Zeit. Irgendwann wird es von „Ludwig II“ einen Fernsehzweiteiler geben, in dieser Fassung sind dann alle Szenen zu sehen.
Für die Rolle in Ihrem ersten Kinoerfolg „Vier Minuten“ mussten Sie das Klavierspielen lernen, Sie hatten beim Casting geschummelt und behauptet, das schon zu können. In „Ludwig II“ haben Sie nun eine Reiterszene. Brauchten Sie wieder Nachhilfe?
Vor allem musste ich meine Angst ablegen. Ich habe als Kind schlechte Erfahrungen mit Pferden gemacht.

Meine Schwester und ich hatten Reitunterricht. Es waren zu viele Pferde in der Halle, die wegen Stallbauarbeiten sehr nervös waren. Mein Pferd ist durchgegangen und ich bin runtergefallen. Danach hatte ich Angst und keine Lust mehr.
Das reicht doch noch nicht für ein Trauma.
Meine Schwester hat weitergemacht. Als sie das Pferd am Zügel zu seiner Box führen wollte, ist es auch durchgegangen. Die Lehrerin hatte uns eingeimpft: Egal, was passiert, du darfst das Pferd nicht loslassen! Also hat das Pferd meine Schwester den ganzen Weg mitgeschleift und beinahe gegen eine Wand gequetscht. Das waren wirklich dramatische Szenen. Und als ich jetzt vor den Dreharbeiten wieder trainierte, musste ich immer wieder daran denken, was diese Tiere für eine Kraft haben.

Uns ist in der Szene Ihr gerader Rücken aufgefallen.
Das kommt wahrscheinlich durch die Korsage. Wir waren am Set von morgens bis abends in unsere Kostüme eingeschnürt.

Man nimmt da auch eine ganz andere Haltung ein. Gerade hab ich mit Dominik Graf „Die geliebten Schwestern“ abgedreht, eine autobiografische Geschichte über die Ménage à trois aus Schiller, seiner Frau und ihrer Schwester. Dort durfte ich auch in diesen unfassbar schönen Kleidern spielen.
Sie haben einmal gesagt, Sie müssen sich in jemanden hineinversenken, wenn Sie eine Rolle spielen.
Ja, ich konzentriere mich sehr und versetze mich in die Rolle.
Wenn Sie also da, eingeschnürt in Ihr Korsett, majestätisch aufrecht am Set stehen, dann sind Sie Elisabeth, die Kaiserin von Österreich, und würden gern mal einen Lakaien scheuchen, damit er Ihnen Kaffee holt?
So sehr Kaiserin bin ich dann auch nicht. Und abends war ich sehr froh, wieder die Hannah sein zu dürfen im Hier und Jetzt. Ich habe immer versucht mir das vorzustellen, wie es war, wenn Sissi Ludwig besucht hat, der für sie ja zeitweise so etwas wie ein Bruder im Geiste war. Das ging damals nicht so einfach, von Wien nach München und weiter auf die Roseninsel oder wo er sich gerade aufhielt. Das waren anstrengende Reisen.
Ist Ihr Leben eine einzige Abfolge von Drehs oder hatten Sie Phasen, in denen keine Angebote kamen – in denen Sie Existenzsorgen hatten?
Am Anfang war das so. Ich bin ständig auf Castings gegangen und habe nie eine Rolle bekommen. Ich kam immer wieder an den Punkt, an dem ich dachte: ,Vielleicht sollte ich es lassen.‘
Sie haben erst mal in Wien Kommunikationswissenschaft studiert.
Meine Eltern wollten nicht unbedingt, dass ich den Schauspielerweg einschlage ...
... dabei ist Ihr Vater, Bernd Herzsprung, selbst Schauspieler.
Ich bin in Wien ständig ins Kino gerannt. Ich saß da im Sessel und dachte: Oh mein Gott, das wäre mein größter Traum, auch mal da oben auf der Leinwand aufzutauchen. Und ich habe die Schauspieler bewundert, die es geschafft hatten.
Zum Beispiel?
Anna Maria Mühe in „Was nützt die Liebe in Gedanken“, da war sie erst 16. Eine unglaubliche Leinwandpräsenz. Und dann an der Seite von so großartigen Schauspielern wie Daniel Brühl und August Diehl. Da wusste ich noch nicht, dass wir einmal befreundet sein würden.
Haben Sie ihr je gesagt, wie gut sie in dem Film gespielt hat?
Gleich bei unserer ersten Begegnung, wir haben uns über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Damals habe ich schon gedreht, eine Internatsserie, die hieß „18. Allein unter Mädchen.“
Die kennen wir. Wenn man Ihren Namen bei Youtube eintippt, kommt da als Erstes eine Dessousszene-Szene aus der Serie.
Das ist unfassbar.
Warum?
Weil es in der ganzen Serie meine einzige halb nackte Szene war, und die verfolgt einen dann.
Eine Mitschülerin überredet Sie, weiße Strapse zu tragen. Sie sagen: „Ich bin doch noch Fahrschülerin, und das ist bereits die Formel eins.“
Das ist wirklich eine Schattenseite der neuen Zeit, mit der man lernen muss, umzugehen. Eigentlich ist es doch mit Nacktszenen so: Zu manchen Filmen passen sie, da funktionieren sie im Kontext der Handlung. Doch heute werden hinterher einzelne Bilder oder Sequenzen rausgeschnitten und ohne Zusammenhang im Internet verbreitet. Also muss man sich überlegen: Kann ich überhaupt noch in einem Film leicht oder gar nicht bekleidet auftreten? Das ist doch Wahnsinn.
Haben Sie einen Google-Alert eingerichtet, der Ihnen Bescheid gibt, sobald etwas Neues über Hannah Herzsprung im Netz steht?
Ich nicht, aber meine Presseagentin. Im Grunde ist es wie mit unserer Begegnung jetzt: Ich habe die Rolle der Sissi aus einem Bauchgefühl heraus angenommen. Da überlegt man ja nicht: Oh Gott, in zehn Jahren gibst du ein großes Interview, und die Journalisten bereiten sich auf dich vor und sehen dich dann in Dessous auf Youtube.
Frau Herzsprung, ehrlich gesagt haben wir uns ein bisschen vor diesem Interview gefürchtet.
Warum das denn?
Sie gelten als nicht immer leicht im Umgang mit Journalisten.
Tatsächlich, warum denn?
Da war zum Beispiel dieses Interview im Magazin „Umag“. Als der Journalist Ihnen den Text vor der Veröffentlichung zum Autorisieren geschickt hat, haben Sie mehr als die Hälfte der Sätze gestrichen. Also hat der arme Mann seine zwei Seiten mit allen schwarzen Balken abgedruckt.
Darf ich das erklären?

Es gab einen Pressetag zu „Vier Minuten“, an dem ich ein Interview nach dem nächsten gegeben habe. Alle haben mir gefallen – nur bei diesem einen habe ich später beim Gegenlesen gedacht: Der Journalist hat entweder nicht zugehört oder mich nicht verstanden.
Und deshalb haben Sie alles geschwärzt?
Nein, wir haben ihn angerufen und gesagt, dass wir nicht glücklich sind mit dem Interview. Und ihn gebeten, ob wir das Gespräch nicht wiederholen können. Er meinte, dann wolle er lieber gar nichts bringen – und hat stattdessen einfach eine geschwärzte Version gedruckt. Als „Vier Minuten“ dann ein Erfolg wurde, hat er sich bei mir entschuldigt und wollte ein zweites Interview.
Es gab also eine Versöhnung?
Wir haben nicht wieder miteinander gesprochen. Ich freue mich, wenn ich ein Interview lese, in dem ich mich verstanden fühle. Nur, was der Journalist gemacht hat, war ungerecht, gerade bei einem jungen Mädchen am Anfang seiner Laufbahn. Den Vorfall konnte man sogar bei Wikipedia nachlesen.
Haben Sie ihn gelöscht?
Meine Presseagentin hat dafür gesorgt.
Sind Sie eigentlich schüchtern?
Ich würde sagen: zurückhaltend. Und ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich mein Privatleben für mich behalte.
Liegt das an den Erfahrungen, die Ihre Eltern mit der Öffentlichkeit gemacht haben? Ihre Mutter, die Modedesignerin Barbara Engel, hat im Dschungelcamp Känguru-Hoden gegessen. Ihr Vater stand auch oft in der Presse, zum Beispiel mit seiner Ankündigung, als 70-Jähriger noch ein Kind zu wollen.
Ich habe bei meinen Eltern erlebt, welche Nachteile ein Leben in der Öffentlichkeit mit sich bringt – und ich habe mich dagegen entschieden.
Sie selbst haben auch früh schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht. Als Sie 16 waren, gab es einen ausführlichen Bericht in der Jugendzeitschrift „Mädchen“, wonach Sie entjungfert worden seien.
Das Absurde war: Die meinten eigentlich gar nicht mich, sondern meine Figur aus der Serie „Aus heiterem Himmel". Nur, das stand da nirgends.
Wurden Sie darauf angesprochen?
Ja klar, meine Mitschülerinnen gehörten vom Alter her genau zur Zielgruppe dieser Zeitschrift. Das war mir wahnsinnig unangenehm. Und Sie sehen ja, wie lange einen heute solche Sachen verfolgen können. Wobei, das gilt nicht nur für Prominente. Das geht doch schon damit los, dass man alles, was man beispielsweise auf Facebook postet, für immer im Internet finden kann.
Gut, lassen Sie uns von früher sprechen: Waren Sie jemals richtig sauer, weil Sie zu Weihnachten etwas nicht bekommen haben, das Sie sich doch so sehnlich gewünscht hatten?
Ja, da gab es was, eigentlich schon vor Weihnachten nahm das ein wenig absurde Züge an. Ich habe mir als Kind sehnlich ein Hackbrett gewünscht.
Was ist das?
Das ist ein Saiteninstrument, ein bisschen so wie eine Zither, das wollte ich unbedingt haben. Ich hatte schon ein bisschen Unterricht bekommen und bildete mir ein, ich kann das nur weiterführen, wenn ich ein eigenes Hackbrett hätte. Das war allerdings sehr teuer. Und meine Eltern wollten sicher sein, ob ich denn dabei bleiben würde.
Romy Schneider spielt ja im ersten Sissi-Film so ein Instrument und betört damit ihren Franz Joseph.
Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Also, nachdem ich meinen Eltern vermittelt hatte, wie wahnsinnig wichtig mir das wäre, bekam ich auch tatsächlich eines.
Und, hatten Ihre Eltern recht mit ihrer Vorsicht?
Ja, hatten sie. Ich habe es nur eine Weile gespielt, dann wurde es wieder verkauft.
Wie sah Weihnachten bei Ihnen zu Hause aus?
Ein bisschen kitschig. Ich liebe es zu dekorieren.
Sind Sie ein Baumschmücker?
Auf jeden Fall, aber ohne Lametta. Zumindest nicht das neue aus Plastik. Das taugt nichts.
Die Gretchenfrage: echte Kerzen oder elektrische?
Echte natürlich. Bei uns stand immer ein Wassereimer daneben, für den Notfall. Wir hatten überall Eimer.
Weil Ihre Eltern so ängstlich waren?
Nein, weil wir in einem sehr alten Haus mit viel Holz lebten. Einmal ist uns auch wirklich ein Adventskranz angebrannt. Den hat mein Vater gelöscht. Zum Glück stand ein Eimer in Reichweite.
Sie sind in Wettlkam aufgewachsen, einem winzigen Dorf südlich von München.
Wir waren bloß acht Kinder im Ort. Und zu Nikolaus sind die alle mit ihren Eltern in unser Haus gekommen, da haben wir auf den Nikolaus gewartet. Der war mir nicht geheuer. Er hatte ein großes Buch dabei, und ich dachte, der weiß alles über mich. Ich hatte ehrlich gesagt ganz schön Bammel.
Wie lange haben Sie an den geglaubt?
Bis ich einmal mit meiner Mutter zu Fuß von der Kirche nach Hause gelaufen bin und da auf einmal ein sehr lautes Auto ankam. Ich glaube, der Auspuff war kaputt. Es hielt neben uns, ein Nikolaus kurbelte die Scheibe runter, und da saßen noch vier weitere im Wagen. Und der Mann fragte im tiefsten Bayerisch: „Wo geht’s denn hier zu den Herzsprungs?“
Sissi und Ludwig sind ja irgendwie auch so Fantasiegestalten wie der Nikolaus.
Sie waren beide wie zwei Märchenfiguren, die sich ihre eigene Welt aufgebaut haben, er hat diese Welt mehr gelebt als sie.
Ihr Heimatdorf Wettlkam liegt nur 25 Kilometer Luftlinie vom Starnberger See entfernt ...
Genau, wo Ludwig verunglückt ist.
Verunglückt? Eigentlich hat er sich das Leben genommen.
Ja, aber als Kind hat einem das keiner gesagt, und ich wusste auch nicht, ob man jemals seine Leiche gefunden hatte. Also dachte ich, der steckt da noch irgendwo in dem See. Es war gruselig. Zum Glück bin ich darüber weg, wenn ich den Starnberger See heute sehe, kriege ich Heimatgefühle.
Was sollen wir denn jetzt mit Ihrem „Bild“-Titel machen, Frau Herzsprung? Am besten, wir werfen die alte Zeitung weg.
Ich nehm’ sie mit.

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