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Kultur: Schiefer Turm: Dreizehn Zentimeter (Kommentar)

Na, wenn das keine Leistung ist: dreizehn Zentimeter. Um diese Spanne weniger als vordem neigt sich eine der größten Attraktionen Europas: der Schiefe Turm von Pisa.

Na, wenn das keine Leistung ist: dreizehn Zentimeter. Um diese Spanne weniger als vordem neigt sich eine der größten Attraktionen Europas: der Schiefe Turm von Pisa. Angesichts einer Schieflage von mehr als viereinhalb Metern nicht gerade üppig, dem Expertenteam (elf Italiener, zwei Ausländer) unter der Leitung des polnischen Ingenieurs Michele Jamiolkowski jedoch Grund genug für ein großes Freudenfest am heutigen Sonnabend rund um den gut sechzig Meter hohen Turm aus dem 12. Jahrhundert. Man darf wieder hinauf - zum ersten Mal, seit das Wahrzeichen der toskanischen Stadt 1990 über Nacht wegen akuter Einsturzgefahr geschlossen wurde.

Allerdings dauert die Begehfreude nur einen Tag. Wobei man vorsichtshalber zunächst nur 200 Schulkinder den Spiralgang hochtraben lässt - die sind wohl leichter als die Honoratioren. Dann wird wieder abgeriegelt. Erst Mitte 2001 soll auch Otto Normalverbraucher die Säulenwindungen wieder hinaufkeuchen dürfen.

Dass der Turm nach jahrzehntelanger Neigung nun wieder aufrechter dasteht, verdankt er einer simplen Eingriffsphilosophie. Nachdem man bereits vergeblich eine "Verankerung" des Turmfundaments mit Hilfe von Halteseilen versucht hatte und sich auch mächtige Hebe-Ringe um den Bauch des Bauwerks als unwirksam erwiesen hatten, tat Jamiolkowski das, was auch einem Schrebergärtner einfällt, wenn der Blumentopf sich bedrohlich neigt und zum Heben zu schwer ist: Er grub auf der weniger tief liegenden Seite die Erde weg. 41 Bohrlöcher wurden seit Februar 2000 angelegt, täglich werden an die 100 Kilo Lehm abgesaugt. Und siehe da, es funktioniert.

Doch statt zufrieden zu sein, hadern die Italiener mit sich. Das Verfahren hatte, vor fast vierzig Jahren, einer der ihren schon einmal vorgeschlagen. Doch der wurde für meschugge erklärt, weshalb er nach Mexiko-Stadt auswanderte (und dort mit seiner Technik die Kathedrale gerade gerückt haben soll). Nun heißt das Verfahren "polnische Aufrichtungslösung" und nicht "italienische". Jamiolkowski hat bereits Rechnungen aufgestellt, um wie viel jeder Zentimeter "Vertikalisierung" die Lebensdauer des Turms verlängert: bei einem Meter kann man mit 200 Jahren rechnen, bei zwei Metern gar mit 500... Da unterbrachen ihn die Pisaner denn doch: Allzu gerade darf der Turm am Ende ja nun nicht dastehen. Ein ehemals Schiefer Turm taugte kaum noch als Touristenattraktion.

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