zum Hauptinhalt
Foto: p-a/dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Schierling für Steuersünder

„Zahltag“: Petros Markaris flaniert mit Kommissar Charitos durch Athen.

Auf die Tradition muss sich in Griechenland berufen, wer auf der sicheren Seite sein will. „Wie unsere antiken Vorfahren sagten“, das ist die Argumentationskeule im nationalen Diskurs. Deshalb ist es nicht befremdlich, wenn der Oppositionschef mitteilt, dass Lehrer berechtigt seien, ihren Schülern am Nachmittag Privatunterricht zu geben, auch am Fiskus vorbei, solange sie an der Schule nicht genug verdienen.

Gehört das etwa nicht zur Tradition des Ungehorsams? Hat man das nicht schon während der Militärdiktatur so gemacht und während der Besatzung? Ist man nicht stolz auf die Kämpfer gegen die Osmanen? War Antigone nicht ungehorsam, als sie gegen das Verbot des Königs ihren Bruder beerdigte? Und waren es nicht Harmodios und Aristogeiton, die Hipparch getötet und von den Athenern als Tyrannenmörder verehrt wurden? Wenn der Staat ungerecht ist, dann stellt man Gerechtigkeit eben selber her, das ist eine altbewährte Tradition in Griechenland, von der Antike bis heute. Manchmal hilft sie. Manchmal nicht.

Der griechische Erfolgsautor Petros Markaris versteht es, mit dieser Eigenschaft umzugehen, er ist ein erfahrener Essayist, und seine Krimis waren immer zugleich politische Analysen. Nun hat er sich vorgenommen, eine „Trilogie der Krise“ zu verfassen. In „Zahltag“, ihrem zweiten Teil, lässt er den Mörder Steuersünder aufspüren. Er fordert sie auf, die geschuldete Summe innerhalb einer Woche dem Finanzamt zu bezahlen, andernfalls werden sie liquidiert. Die meisten zahlen prompt.

Er ist geschickt und der Polizei immer einen Schritt voraus, doch seine eigentliche Stärke ist seine Waffe. Er tötet mit Schierlingsgift; nicht nur jeder Grieche dürfte wissen, dass Sokrates damit von seinen Mitbürgern umgebracht wurde. Und: Er hinterlässt die Leichen an archäologischen Stätten.

Kommissar Kostas Charitos, der endlich befördert werden will, weiß nicht weiter. Zu allem Überdruss will seine Tochter nach Afrika, um für das UN-Flüchtlingskommissariat zu arbeiten. Nebenbei erzählt Markaris von Selbstmorden aus Verzweiflung, Arbeitslosen ohne Zukunft, Armut, Migration und Wut gegen einen Staat, der von lauter Korruption den reichen Steuersündern, diesen modernen Tyrannen, nichts antun kann.

Tyrannenmord, Sokrates, antike Steine: Der Mörder, der mahnende Briefe veröffentlicht, wird zum Volkshelden. „Peraiosi“ (Beendigung) heißt der Originaltitel; wie eine Maßnahme der Papandreou-Regierung, die ziemlich erfolglos von vermeintlichen Steuersündern eine pauschale Zahlung verlangte und damit jede Verfolgung auf sich beruhen lassen wollte.

Das Wort hat aber auch eine zweite Bedeutung. Es heißt „Übersetzen“, jemanden mit der Fähre von der einen zur anderen Seite eines Flusses befördern. Der Mörder befördert Reiche ins Jenseits, die viel Geld hinterzogen haben, andere bezahlen aus Angst tatsächlich, und die Staatskasse wird innerhalb weniger Tage um einige Millionen reicher. Diese Gerechtigkeit ist Balsam für die Seele der Griechen und bringt obendrein Einnahmen für den verarmten Staat mit sich: Der Mörder wird auf der Straße gefeiert.

Die Regierung schaltet sich ein, auch der Geheimdienst, doch ohne Erfolg. Bei der Suche nach dem Mörder zeigt sich lediglich die Unfähigkeit der Behörden – und ein Ausmaß an Korruption, das von den einfachen Beamten bis in die Regierung hineinreicht. Erst ein Zufall wird Charitos helfen, dem Mörder auf die Spur zu kommen.

In Michaela Prinzingers Übersetzung liest sich der Roman spannend und unterhaltsam, ihr Text ist stilsicher, auch an schwierigen Stellen. Sie verdeutscht jedoch manchmal zu viel: Im Original reden die Leute deftig miteinander, es wird wild geduzt, zuweilen selbst für Athener Verhältnisse zu viel, etwa wenn Charitos die ihm unbekannten Zeugen ausfragt oder sein Chef ihn penetrant duzt.

Ländliche Manieren, gepaart mit primitiven Machtspielen, sind typisch für die Romane von Petros Markaris, der deutsche Leser liest jedoch Dialoge gallischer Höflichkeit und verliert ein wenig vom typischen Markaris-Sound. Dieser bleibt aber unverwechselbar in den sarkastischen Aphorismen, die Charitos von sich gibt.

„Zahltag“ erzählt eine höchst zeitgenössische Geschichte, und mit Charitos fährt man durch die Straßen Athens, wie nur Athener fahren können. Er verkörpert den alten Herrn, der im Kafeneion sitzt, laut über die Welt philosophiert und mehr oder weniger gelungene Witze reißt, mit dem scharfsinnigen und belesenen Intellektuellen. Allein deswegen ist dieser Mann ein wunderbares Unikat.

Petros Markaris: Zahltag. Ein Fall für Kostas Charitos.

Roman. Aus dem

Griechischen von

Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag,

Zürich 2012.

418 Seiten, 22,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false