zum Hauptinhalt
308930_0_4a63ab6a.jpg

© ddp

Schiller: Der Freiheit ein Museum!

Vor 250 Jahren wurde Friedrich Schiller geboren – Ortstermin in Weimar, Marbach und Berlin.

Er schaut ungerührt über die Touristen hinweg, die ihn unentwegt fotografieren. Worauf richtet sich Schillers Blick? Wie aus der Zeit gefallen steht er vor Schinkels Schauspielhaus, ein schöner junger Mann halb im Bürgerrock, halb im antiken Gewand, das er mit der Rechten vor der Brust festklammern muss, damit es ihm nicht von der Schulter rutscht. Die leichte Vorwärtsbewegung der Beine ist eingefroren, sonst würde das Idol gleich vom Sockel kippen. Drei füllige Musen sitzen ihm zu Füßen: Allegorien des Dramas, der Lyrik und der Geschichte, die verhärmte vierte Figur verkörpert die Philosophie. Schiller, wenigstens das sagt uns sein Berliner Denkmal sofort, war ein großes Multitalent.

„Politische und bürgerliche Freiheit bleibt immer und ewig das heiligste aller Güter, das würdigste Ziel aller Anstrengungen und das große Zentrum aller Kultur“, für solche Sätze liebten die Deutschen im 19. Jahrhundert ihren Schiller. Es störte sie nicht, dass Schiller seinen Zeitgenossen die Reife für eine Revolution und eine republikanische Verfassung absprach. Den 100. Dichtergeburtstag feierte ganz Deutschland, es war die größte Freiheits- und Einheitsdemonstration seit der abgewürgten 1848er Revolution.

Auch in Berlin plante ein Festkomitee einen großen Straßenumzug, ein Albtraum für die preußische Obrigkeit. Vorsorglich verbot sie alle Feiern unter freiem Himmel. Um die Schillerbegeisterung zu kanalisieren, setzte sich Prinzregent Wilhelm, der berüchtigte „Kartätschenprinz“ von 1848 und spätere erste Kaiser, an die Spitze der Volksbewegung: Er stiftete einen Schillerpreis und 10 000 Taler für ein Schillerdenkmal. Dieselbe Summe stellte der Berliner Magistrat zur Verfügung, weitere 12 680 Taler sammelte die Bevölkerung – so einfach wollten die Berliner sich ihren Schiller nicht von den Mächtigen abkaufen lassen.

Die Grundsteinlegung am 10. November 1859 sollte der Höhepunkt der Berliner Feiern werden. Als Hauptredner vor handverlesenen Gästen trat ein Prediger auf, der Schiller gegen Atheismusvorwürfe verteidigte und aus dem Lied von der Glocke zitierte: „Alles Gute kommt von oben.“ In den Seitenstraßen drängten sich bis zu 50 000 nicht geladene Berliner. Auf die Feierlichkeiten folgte die befürchtete Randale, die Festdekorationen gingen in Flammen auf.

Einen Denkmalentwurf gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. So erlebte Berlin in den folgenden Jahren eine hitzige Debatte, so bizarr wie die neueste um ein Einheits- und Freiheitsdenkmal. Vor allem die Goetheverehrer und Lessingfreunde liefen publizistisch Sturm gegen die Alleinherrschaft Schillers vor dem Schauspielhaus. Um die Gemüter zu beruhigen, fällte der Magistrat 1861 einen salomonischen Beschluss: Schiller sollte seinen Platz in der Mitte behalten, aber von Goethe und Lessing flankiert werden. Dazu kam es nie. Zwölf Jahre nach der Grundsteinlegung wurde lediglich das Schillerdenkmal des Wettbewerbssiegers Reinhold Begas auf dem Gendarmenmarkt enthüllt. Berlin war soeben Reichshauptstadt geworden, nun ließ die Obrigkeit Schiller als Wegbereiter der deutschen Einheit bejubeln.

Nichts weist heute die Touristen am Gendarmenmarkt darauf hin, dass das Schillerdenkmal, dieses anachronistische Stadtmöbel, ein politischer Zankapfel war. Die Nazis räumten es aus dem Weg, um aus dem Gendarmenmarkt einen Aufmarschplatz zu machen. Ersatzweise stellten sie eine Bronzekopie in den Weddinger Schillerpark. Die perverse Pointe: Für diesen Schiller wurde der Rathenaubrunnen eingeschmolzen, den die Weimarer Republik zu Ehren des AEG-Gründers und seines Sohnes, des von Rechtsradikalen ermordeten Außenministers Walther Rathenau, errichtet hatte.

Der Marmorschiller vom Gendarmenmarkt strandete nach dem Zweiten Weltkrieg im Westteils Berlins, der Sockel im Ostteil. Im Jahr 1988 wurden beide vor dem rekonstruierten Schauspielhaus wiedervereinigt: Schiller, ein Vorbote des Mauerfalls.

Das Standbild auf dem Gendarmenmarkt war überhaupt das erste öffentliche Denkmal für einen Dichter in Berlin. In den Zentren des Schillerkults sind noch mehr Pionierleistungen der Literaturrezeption zu bewundern. Auf der Schillerhöhe in Marbach am Neckar, dem verträumten Geburtsort des Dichters, eröffnet Bundespräsident Horst Köhler am Dienstag zum 250. Schillergeburtstag den ältesten Museumsbau für Literatur wieder. Der Architekt David Chipperfield hat das 1903 eingeweihte Schiller-Nationalmuseum behutsam saniert. Unterirdisch ist es nun mit Chipperfields vor drei Jahren fertiggestelltem Literaturmuseum der Moderne und den weitläufigen Katakomben des Deutschen Literaturarchivs verbunden. Hoch über dem Neckar in den Hang geschmiegt, bilden die gut in 100 Jahren entstandenen Archiv- und Museumsbauten ein Ensemble von völlig neuer Qualität – die Museumsinsel der deutschen Literaturgeschichte. Überragt wird sie von einem der sympathischsten Schillerdenkmäler, das den Ausgangspunkt aller Bautätigkeit bildete.

Schillers Wohnhaus in Weimar gilt als das älteste Literaturmuseum in Deutschland, bereits 1847 wurde dort eine Gedenkstätte eröffnet. Um das Wohnhaus gänzlich in eine bürgerliche Puppenstube zurückverwandeln zu können, entstand bis 1988 nebenan das Schillermuseum: der einzige Museumsneubau der DDR. Derzeit arbeitet dort die Stiftung Weimarer Klassik den gruseligsten Aspekt der Schillerverehrung auf.

1826 barg der Weimarer Bürgermeister Schwabe auf dem Jakobsfriedhof, wo Schiller 1805 beigesetzt worden war, einen sehr großen und gut erhaltenen Schädel. Diese Schillerreliquie wurde zunächst in der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek und in Goethes Arbeitszimmer verwahrt, ein Jahr später mit einem Skelett in die neu erbaute Fürstengruft umgebettet. 1911 brachte der Mediziner August von Froriep bei neuerlichen Grabungen einen weiteren Schillerschädel ans Licht. Bis zum vergangenen Jahr wurde er ebenfalls in der Fürstengruft aufbewahrt, weil sich die Gelehrten nie einigen konnten, welcher der echte sei.

Die Ausstellung im Schillermuseum dokumentiert die Geschichte des Schädelkults bis hin zu den neuesten Forschungen. Im vergangenen Jahr untersuchten erneut Gerichtsmediziner die Knochen, man öffnete sogar die Gräber von Schillers Frau, Schwester und Söhnen, um DNA-Vergleichsproben zu entnehmen. Das Skelett im Schillersarg erwies sich als kunstvolle Komposition aus Knochen von verschiedenen Toten. Der Froriep-Schädel ließ sich einer verstorbenen Hofdame zuordnen, der Schwabe-Schädel passt genetisch überhaupt nicht zu Schillers Verwandtschaft. Wo der echte Schillerschädel geblieben ist, weiß niemand. Vielleicht hat ihn ein begehrlicher Schädelkundler im 19. Jahrhundert heimlich ausgetauscht?

Die Befunde haben ein kleines Erdbeben in der Weimarer Erinnerungslandschaft ausgelöst. Denn Schillers Sarg in der Fürstengruft bleibt nun leer. Goethe hatte die Gebeine dorthin befördern lassen, um nach seinem Tod Seite an Seite mit dem Freund bestattet zu werden. So als seien die beiden Dichter miteinander verheiratet gewesen und nicht mit ihren Ehefrauen, die anderswo vermoderten. Um diesen makabren Freundschaftskult über den Tod hinaus zu begreifen, muss man Rüdiger Safranskis neues Buch über die Beziehung zwischen Goethe und Schiller lesen. Die Geistesfreundschaft trug in der Tat signifikante Züge einer geglückten Ehe – wenn man deren Sinn darin begreift, dass beide Partner in der Beziehung über sich hinauswachsen und dazu auch noch Kinder, in diesem Fall Geisteskinder, zeugen.

Der reflexionsstarke Schiller half Goethe, mehr Klarheit über sein Tun als Dichter zu gewinnen, umgekehrt habe Schiller von Goethe das „Zutrauen zum Unbewussten“ wiedererlernt, so Safranski – und dadurch nach zehnjähriger Pause wieder zum Dramenschreiben zurückgefunden. Wie verflochten die beiden waren, in der Arbeit und im Alltag, belegt der Briefwechsel, den der verdiente Schillerforscher Norbert Oellers bei Reclam neu herausgegeben hat. In der historisch-kritischen Textfassung, die den erhaltenen Originalen mit ihrer struppigen Orthografie folgt, liest er sich wie der E-Mail-Verkehr zweier Workaholics.

Goethe führte Regie beim ersten „Wallenstein“. Als Peymann des Weimarer Hoftheaters trieb er den zaudernden Autor Schiller zur Vollendung seines „dramatischen Monstrums“. Schillers Sprache wirkte im damaligen deutschen Theater so irritierend wie in jüngerer Zeit die Theatertexte eines Thomas Bernhard oder einer Elfriede Jelinek. Sie war eine extreme Herausforderung für die Schauspieler und eine Kriegserklärung an jeden platten Naturalismus. Nicht das Drama sollte sich der Bühnenpraxis anpassen, sondern das Theater an den Texten wachsen.

In seinem neuen Buch „Freiheit ist nur in dem Reich der Träume“ stellt Friedrich Dieckmann die Weimarer „Wallenstein“-Uraufführung von 1798 auf eine Stufe mit Brechts legendärer „Mutter Courage“ im Januar 1949 am Deutschen Theater. Dieckmanns biografischer Essay skizziert das geistige und politische Panorama, das Schiller vor Augen hatte, als er zum Drama zurückfand. Der blutige Fortgang der Französischen Revolution und die seither ständig drohende Kriegsgefahr hatten ihn ins Mark erschüttert. Dieckmann erzählt minutiös, wie die große Politik ihre Spuren in Schillers Alltag, seinen Beziehungen und seinem Schreiben hinterließ. Schillers historische Dramen liest er als Zeitstücke, das heißt: als Stücke auf der Höhe der Zeit.

Schiller rang sie einer tiefen Desillusionierung über den Gang der Geschichte ab. Das 19. Jahrhundert begrüßte er mit prophetischen Versen voller Melancholie: „Ach umsonst auf allen Länderkarten / Spähst Du nach dem seligen Gebiet / Wo der Freiheit ewig grüner Garten, / Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.“ Einzig die Kunst konnte den Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Ideal kurzzeitig aufheben. Der antikisch kostümierte Schiller auf dem Gendarmenmarkt blickt in eine unbestimmte Ferne. Wohin sollte er, mit seiner Vision von Freiheit im Kopf, auch sonst schauen?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false