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Kultur: Schlachtschiff Hannibal Saisonstart am Staatstheater Stuttgart mit einer Grabbe-Rarität

Das Schauspiel Stuttgart läßt sich nicht lumpen neben dem glänzenden Nachbarn Staatsoper. Man war zum Theatertreffen eingeladen, heimste den Bayerischen Theaterpreis ein und spielt zur Saisoneröffnung groß auf: mit einer Ausgrabung, einem fast unspielbaren Kriegsstück dieses seltsamen Autors Christian Dietrich Grabbe, von Heinrich Heine aus guten Gründen „ein betrunkener Shakespeare“ genannt.

Das Schauspiel Stuttgart läßt sich nicht lumpen neben dem glänzenden Nachbarn Staatsoper. Man war zum Theatertreffen eingeladen, heimste den Bayerischen Theaterpreis ein und spielt zur Saisoneröffnung groß auf: mit einer Ausgrabung, einem fast unspielbaren Kriegsstück dieses seltsamen Autors Christian Dietrich Grabbe, von Heinrich Heine aus guten Gründen „ein betrunkener Shakespeare“ genannt. Der erfolglose Dichter schreibt über einen der erfolgreichsten Feldherrn der Geschichte – ab dem Moment, wo ihn der Erfolg verließ. In Stuttgart heute sieht das erst mal ganz schön aus: Man häuft braune Lumpen auf die Bühne, die mit ihrer fahrbaren Brücke aussieht wie eine Fabrikhalle. Der holländische Regisseur Johan Simons, der mit seiner Gruppe ZT Hollandia gerne an authentischen Orten ohne Bühnenbild inszeniert, mit den Schaupielern improvisiert, das Stück jeden Abend neu erfindet, hat sich in den Fängen des Staatstheaters verheddert.

Grabbes gewaltiges Schlachtschiff „Hannibal“ kommt nur gelegentlich in einige Bewegung, meist verharrt es bewegungslos. Das personenreiche historische Geschehen um Hannibal, Karthager und Römer ist zudem ausgedünnt bis zur Unglaubwürdigkeit, viel zu viele Botenberichte dazuerfunden, lauter theatrale Behauptungen und nichts dahinter. Die Schauspieler finden keinen Weg zu einer ausgelassenen, kräftig-wilden Darstellung. Die schöne, altkleiderübersäte Riesenbühne (von Geert Peymen), die durchzogen ist von Gräben, aus denen unvermutet aufgetaucht, in die hinein- und abgestürzt werden kann, sie wird verhampelt. Man ahnt, wie die Szenen gemeint sein könnten, im raschen Wechsel zwischen anarchisch-derber Komik und anrührenden Momenten: sehen tut man es nicht.

Ganz selten entsteht kurz Glaubwürdigkeit, etwa bei der Begegnung von Hannibal (Fedja van Huet, ein freundlicher Knuddelbär) mit Scipio dem Jüngeren (Philip Otto, gefährlich verspielt) vor der eigentlich schon verlorenen Schlacht um Karthago. Ganz selten entfaltet sich wirkliche Komik, etwa bei Hannibals Gesuch um Aufnahme beim eitlen König Prusias (Bernhard Baier).

Da ist etwas völlig schiefgelaufen, da hat ein Theater sich überschätzt. Wollte man wiederholen, was am Hamburger Schauspielhaus mit dem Belgier Luc Perceval und seinen „Schlachten!“ nach Shakespeare so außerordentlich gut gelang, muss man entsprechende Bedingungen schaffen: Außergewöhnliche, lange Probenzeiten beispielsweise. Der Dichter Grabbe setzte Hannibal ein ambivalentes Denkmal, sah die Größe im Scheitern. Was für ein Stoff! Ein Mörder, Zerstörer als sympathischer Kriegsheld. Hannibal ante portas! Weder in Rom noch in Stuttgart angekommen. Ulrike Kahle

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