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Kultur: Schlechte Zähne, böse Seele

Martenstein weiß, woran man Schurken erkennt

Die Kritikerin, die in „300“ neben mir saß, sagte, dass der Film nicht besonders gut sei, aber „wenigstens kein Neun-Uhr-Film“. Unter „Neun-Uhr-Filmen“ versteht man inzwischen ein eigenes, neues Genre. Es sind mittelinteressante, langsam erzählende Filme mit unglücklichen, sprachlosen Menschen, wie sie bei einer Berlinale typischerweise um neun Uhr morgens gezeigt werden, zu einer Zeit, da die meisten Kritiker sich, infolge des vorangegangenen langen Abends, ebenfalls sprachlos und mittelinteressant fühlen. Typische NeunUhr-Filme waren „When a Man Falls in the Forest“ und „Das Jahr, als meine Eltern in Urlaub waren“. Ersterer handelte davon, dass Sharon Stone und Timothy Hutton schweigend in der Küche stehen, der zweite zeigte im Wesentlichen ein Kind, das 104 Minuten lang traurig aus dem Fenster schaut. Dies also ist gemeint, wenn Leute aus Hollywood an der Hotelbar den sonderbaren Satz sagen: „My whole life seems more and more like a nine o’clock movie to me.”

„300“ sah aus wie „Herr der Ringe“ in einer Version des US-Außenministeriums, bei der die freie Welt nicht von Orks, sondern von Persern bedroht wird. Manche kritisieren, dass der Oberschurke in „300“ schwarz und schwul ist. Er soll offenbar weiß sein. Aber Schurkenrollen sind doch die interessantesten Rollen. Wenn Schwarze, Schwule etc. im Kino keine Schurken mehr spielen dürfen, ist das versteckte Diskriminierung. Jahrhunderte der Unterdrückung waren nicht genug, nun sollen Schwarze, Schwule, Frauen und Behinderte auch noch gedemütigt werden, indem sie im Kino ununterbrochen Richter, Chefärzte oder Polizeichefs darstellen. Die oscarverdächtigen Rollen von Wahnsinnigen, Drogenwracks oder Gangsterbossen kriegen immer nur weiße Heteros. Außer in „300“.

Schurken erkennt man im Kino, außer an der Hautfarbe, auch an den Zähnen. Seit Jahren gilt die Regel, dass ein schlechtes Gebiss auf schlechten Charakter hindeutet. Vermutlich denkt man, dass Eltern, die am Kieferorthopäden ihres Kindes sparen, auch die ethische Erziehung schleifen lassen. In Wirklichkeit bereiten solche Eltern ihre Kinder auf eine Schauspielerkarriere vor, in der sie niemals einen Richter oder den Polizeichef spielen müssen.

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