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Kultur: Schleier oder Freiheit

Die Frauenrechtlerin Mina Ahadi über den 8. März im Iran, Musliminnen im Westen – und die Ignoranz der Europäer

Frau Ahadi, der Weltfrauentag ist für Frauen im Iran wie für Sie persönlich ein besonderes Datum. Wie kam es dazu?

Diesem Tag verdanke ich eigentlich mein Exil. Als junge Studentin hielt ich auf dem Campus der Universität von Tabriz am 8. März 1979 eine Rede gegen den Schleierzwang, den uns die Mullahs auferlegt hatten. Es war das erste Mal, dass der Tag für uns Frauen bedeutsam wurde und wir ihn für laute Signale nutzten.

Sie wollten Ärztin werden?

Ich kam aus einem armen Milieu und hatte gerade mit dem Studium begonnen. Meine Familie, meine Mutter, setzten große Hoffnungen in meine Laufbahn als Ärztin. Dann gab es plötzlich neue Gesetze, die uns Frauen das Verhüllen vorschrieben. Ein oder zwei Tage lang habe ich den Schleier getragen, dann hielt ich es nicht mehr aus. So sollte es nicht sein – ich habe das Tuch weggeworfen!

Und Sie haben das öffentlich bekannt.

Ich habe vehement gegen den Schleier gesprochen. Wenn ich den Schleier akzeptiere, sagte ich in meiner Rede, dann würde das bedeuten, alles zu akzeptieren, was er bedeutet: Unterdrückung, Gewalt in der Familie, Vergewaltigung, die Zweitrangigkeit der Frauen. Das schien mir undenkbar.

Hatte Ihr Auftritt Konsequenzen?

Unmittelbar. Am 9. März war mein Studium zu Ende. An diesem Tag hängte die Polizei ans Schwarze Brett der Uni eine Liste mit den Namen all derer, die ab sofort vom Studium ausgeschlossen wurden. Mein Name stand ziemlich weit oben, er war die Nummer sieben auf der Liste. Mir blieb kaum etwas anderes übrig, als zur erklärten Rebellin zu werden. Ein paar Jahre lang habe ich mich im Untergrund bei einem Radiosender aktiv für die Belange der unterdrückten Kurden im Iran eingesetzt, später ging ich ins Exil nach Wien, wo ich Asyl erhielt. Engagiert habe ich mich in Initiativen gegen das Steinigen von Frauen und gegen die Todesstrafe – im Iran wäre ich nun selbst von einem Todesurteil bedroht. 1996 erhielt ich die österreichische Staatsbürgerschaft und lebe nun seit einiger Zeit in Deutschland.

Sie haben hier den „Zentralrat der Ex-Muslime“ mitgegründet, dessen erste Vorsitzende Sie sind. Was war der Anlass?

Wir haben ihn gegründet, weil massiver Einspruch nottut. Wir wollen nicht hinnehmen, dass wir etwa von einem Zentralrat der Muslime mitvertreten werden, der unsere Anliegen als säkulare Bürgerinnen und Bürger ignoriert und dennoch vorgibt, auch für uns zu sprechen. Unsere rasch wachsende Bewegung ist nicht nur in Deutschland aktiv; sie wendet sich vor allem gegen den politischen Islam, der sich im 21. Jahrhundert immer weiter ausbreitet. Interessanterweise sind bei uns fast überall Frauen in führenden Positionen, auch in Algerien, im Irak oder in Afghanistan.

Auch in Afghanistan, wo das Regime der Taliban praktisch beendet ist?

Auch dort ist das „islamische Patriarchat“ noch lange nicht vorbei. Im Westen bezeichnet man die Muslime dort gern als „gemäßigt“, aber bei näherem Hinsehen heißt das nicht viel für die Frauen. Viele Mädchen gehen wieder zur Schule, dennoch sind die Lebensbedingungen für afghanische Frauen noch immer die Hölle. Nach wie vor tragen die meisten die Ganzkörperverhüllung, die Burka, unlängst wurde sogar erwogen, die Steinigung wieder als Strafe einzuführen. Und Frauen, die sich politisch und kulturell engagieren, werden als „Hure“ beschimpft.

Ähnlich wie die holländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die jetzt in den USA lebt, bezeichnen Sie den Islam als frauenfeindlich und so gut wie unreformierbar. Prominente westliche Publizisten wie Ian Buruma und Timothy Garton Ash werfen Hirsi Ali vor, mit ihrer kompromisslosen Haltung zu provozieren, statt mäßigend zu wirken.

Wo bitte ist denn aktive Mäßigung zu erleben, frage ich nochmals. Europa zeigt sich nach wie vor tolerant gegenüber Intoleranz. Der Islam sei eben eine andere Kultur, heißt es, da gebe es andere soziale Regeln. Wenn ich so etwas von Politikern gesagt bekomme, auch in Deutschland, empfinde ich das als Zumutung. In erster Linie bin ich Staatsbürgerin und Frau, nicht Muslimin. Und als erwachsener Mensch habe ich das Recht, mich selbst zu definieren. Falsche Rücksichtnahme hilft uns politisch nicht weiter. Keine Frau will eine „Kultur“ der Erniedrigung, keine Frau wünscht sich Gewalt oder Vergewaltigung.

Ist das denn in Ihren Augen Bestandteil islamischer Praxis? Kann diese Religion nicht genauso wie etwa der Katholizismus, das Judentum oder der Protestantismus durch Reformprozesse demokratie-kompatibel werden?

Vollends säkular ist auch der deutsche Staat noch nicht, solange Kirchensteuern erhoben werden und Parteien sich religiöse Bezeichnungen geben. Aber natürlich kommt es darauf an, wie der Koran ausgelegt wird. Nur ist es heute, in den Zeiten des islamistischen Terrors, nahezu unmöglich, rational zu debattieren. Es heißt zum Beispiel im Koran, gerichtet an den Ehemann: Wenn deine Frau dir nicht gehorcht, auch sexuell nicht, sollst du es erst mit Gesprächen versuchen und so weiter, wenn das nichts ändert, darfst du Gewalt anwenden. Über die Frau heißt es, sie solle „mit einem Lächeln“ ihren Dienst versehen, auch ihre sexuellen „Pflichten“ – dafür erhält sie Essen und ein Dach über dem Kopf. Das ist schrecklich. In einem Klima der Offenheit könnte man eine positivere Exegese erkämpfen, so wie es in den anderen Religionen geschehen ist, die ja allesamt frauenfeindliche Elemente enthalten. Aber in der jetzigen Atmosphäre ist das kaum möglich.

Sie geben dem Philosophen Pascal Bruckner recht, der in einem Essay auf der Website www.perlentaucher.de Ayaan Hirsi Alis radikalen Säkularismus verteidigt?

Gewiss. Viele der europäischen Politiker sind einfach naiv, wenn sie beispielsweise weiter den Kinder-Hijab dulden, das Kopftuch für Mädchen. Fragen die sich nie, warum die Mehrheit der Muslime zu den elementaren Fragen schweigt? Warum fehlt den Frauen der Mut und den Männern der Wille, sich in die Debatten um das Kopftuch oder in den Karikaturenstreit klar und deutlich einzumischen? Warum sagen sie nicht: Stopp!, statt im Fernsehen zuzuschauen bei dem, was Fundamentalisten anrichten? Teils liegt das sicher an Europas verängstigender Ausländerpolitik, an offenen oder latenten Rassismen. Aber auch an der Haltung der Muslime selbst. Wenn in den Moscheen Europas gepredigt wird: Deine Schwester soll keinen Freund haben!, stößt das bei den jungen Brüdern dieser Tage auf offene Ohren – und die europäischen Regierungen lassen das geschehen. Wegen solcher Ideologien bin ich aus dem Iran geflüchtet. Dass man sie hier duldet oder ignoriert, finde ich ein großes Problem.

Was passiert an diesem 8. März im Iran?

Davon wissen und berichten westliche Medien wenig – aber es ist eine Menge in Bewegung! Seit etwa sechs Jahren begehen nicht nur Iranerinnen im Exil, sondern auch zu Hause wieder den Internationalen Frauentag, trotz massiver Widerstände. Von Jahr zu Jahr werden es mehr Frauen, Tausende, von denen manche sogar den Mut finden, an diesem Tag öffentlich ihre Schleier wegzuwerfen oder zu verbrennen: starke Gesten, heftige Demonstrationen. In diesem Jahr sind im Vorfeld der geplanten Proteste jetzt Dutzende Frauen, darunter Shadi Sadr und andere der einflussreichsten Feministinnen in meinem Herkunftsland von der Staatsmacht inhaftiert worden: ein Akt der Einschüchterung. Demonstriert wird am achten März dennoch, unter dem Motto: „Nein zur Geschlechter-Apartheid! Nein zum Hijab!“ Solange Frauen gezwungen sind, sich zu verschleiern, gibt es keine Freiheit.

– Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

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