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In alter Pracht. Hinter der nachgebauten klassizistischen Fassade von 1821 residiert nun die Volkswagenstiftung.

© dpa

Schloss Herrenhausen in Hannover: Faszination Fassade

Die Herrenhäuser Gärten sind das Schmuckstück von Hannover. Seit 1943 allerdings, als das klassizistische Schloss von 1821 im Bombenhagel unterging, war die Ablage nur noch ein Torso. Jetzt hat die Volkswagenstiftung den Wiederaufbau des hochherrschaftlichen Gebäudes finanziert - hinter den historischen Fassaden aber findet man keine Prunkräume, sondern ein modernes Wissenschaftszentrum.

Hannover, die graue Maus unter den deutschen Großstädten, weckt auf fast unheimliche Weise keinerlei Assoziationen. Nicht mal einen kernigen Dialekt spricht man hier. Da sind keine markanten Bilder, die sofort in den Kopf schießen – außer einem ziemlich hässlichen Platz namens Kröpcke und dem Reiterstandbild von Ernst August I. vor dem Hauptbahnhof. Ein bisschen wenig für eine 520 000- Einwohner-Stadt. Wer in Hannover lebt, muss Spott ertragen können.

Ein einzigartiger Ort aber, der hell und weit ins Land strahlt, existiert doch hier: die Herrenhäuser Gärten. Besonders der im Barock entstandene Große Garten, ein herrliches Areal langgestreckter, in die Unendlichkeit zielender Sichtachsen, wo der Geist zur Ruhe kommt, wo sich, wie der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp schreibt, „das freie Denken entfaltet“. Gottfried Wilhelm Leibniz hat hier gewirkt, und auch die Kurfürstin Sophie, die die Anlage ausbauen ließt, hatte über ihre Bedeutung keinerlei Illusionen: „Nur mit den Gärten können wir prunken“, soll sie gesagt haben.

Doch diese hatten ihr Herz verloren: Schloss Herrenhausen, die Sommerresidenz der Welfen, war das Sanssouci, das Schönbrunn Hannovers. 1943 fiel es in Schutt und Asche. An seiner Stelle erinnerte jahrzehntelang eine kahle Wiese daran, was fehlte. Jetzt ist dieses Schloss wieder aufgebaut worden. Damit reiht sich Hannover ein in den Trend, mit rekonstruierten Herschersitzen verloren gegangene Identität wiederzufinden.

Die Süddeutschen (Münchner und Würzburger Residenz, Nürnberger Burg, Neues Schloss in Stuttgart) haben damit ja bald nach dem Krieg begonnen. Die Nord- und Ostdeutschen brauchten sehr viel länger – weil sie das, was die Bomben stehen gelassen haben, zuerst einmal komplett abrissen (Berlin, Potsdam, Braunschweig). Nach Braunschweig ist mit Herrenhausen nun schon das zweite Schloss in Niedersachsen neu entstanden: ein Bundesland ist auf der Suche nach sich selbst. Und auch wenn es in Hannover niemand zugeben möchte: Natürlich hat beim Wiederaufbau Herrenhausens, der jahrzehntelang diskutiert wurde, das Vorpreschen des Konkurrenten eine Rolle gespielt. Braunschweig allerdings hat sich einen monströsen Hybrid ins Herz implantieren lassen, eine historische Fassade, hinter der ein Einkaufszentrum steckt.

Die Nutzungsfrage ist die Gretchenfrage jeder historischen Rekonstruktion. In Hannover hat man es besser hingekriegt als in Braunschweig. Die Stadt stellte das Grundstück zur Verfügung, die vor Ort ansässige Volkswagenstiftung finanzierte den Bau. Sie ist auch Eigentümerin und nutzt das Schloss an rund 100 Tagen im Jahr für wissenschaftliche Veranstaltungen. Ansonsten verwaltet der Pächter Hochtief Solutions die Räume, in denen Tagungen, aber auch Konzerte oder Feste stattfinden können.

Tatsächlich befindet sich hinter der klassizistischen Fassade – das Hamburger Büro Jastrzembski Kotulla hat den Zustand rekonstruiert, in den der Hofbaumeister Georg Ludwig Friedrich Laves das Schloss 1821 versetzt hat – also ein hochmodernes Wissenschaftszentrum, dessen Größe überrascht. Die Hälfte der Bausubstanz liegt unter der Erde und wird durch Schächte mit Tageslicht versorgt, im Obergeschoss ist ein Festsaal entstanden. Nüchtern, funktional, trotzdem repräsentativ. Die Stadt will die beiden Flügelbauten für ein Museum zur Schlossgeschichte nutzen, zugleich wird an den großen Weltgeist Leibniz erinnert.

Berliner sollten ganz leise werden, wenn sie hierherkommen. Denn auch wenn Herrenhausen in seinen Dimensionen nicht mit dem Berliner Schloss oder gar dem Flughafen BER vergleichbar ist, so beeindruckt doch die extrem kurze Bauzeit von zweieinhalb Jahren – und die Präzision, mit der die Kosten von 20 Millionen Euro kaum überschritten wurden. Kein Wunder, dass das offizielle Niedersachsen sich jetzt bei der Eröffnung selbst feierte. Unter den Ehrengästen waren dabei auch Beatrice und Eugenie, beide Enkelinnen der Queen. England war ja gleich mehrfach schicksalhaft für das Schloss: Als die Könige von Hannover auf dem Thron von England saßen, verfiel es, als George IV. Hannover besuchte, wurde es restauriert. Und die Royal Air Force hat es 1943 zerstört.

Von außen wirkt der Neubau noch so aseptisch wie die Berliner Kommandantur Unter den Linden. Vor dem fahlen Januarhimmel hebt sich die weiße Fassade kaum ab. Und doch kann man jetzt schon spüren, welch Leben hier im Sommer herrschen wird.

Wer einmal die Braunschweiger dabei beobachtet hat, wie liebevoll sie die Cafés vor ihrem neuen Schloss bevölkern, wie also selbst dieses Monstrum Anziehungskraft besitzt, das Potenzial hat, eine neue Stadtmitte auszubilden, der macht sich um die Zukunft von Herrenhausen keine Sorgen. Fernab vom Hannoveraner Stadtzentrum kann hier ein neuer urbaner Mittelpunkt entstehen.

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