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Schlossplatz: Stadtschloss: Weichen im Keller

Archäologen legen auf dem Berliner Schlossplatz Fundamente frei – das schafft neue Probleme für den Wiederaufbau

Aus zwei Metern Höhe erkennt man nur eine dunkle Fläche im gelben Sand. Tatsächlich sind es Reste eines hölzernen Sargs, einer von zahlreichen Bestattungsplätzen in der 1749 wegen Baufälligkeit abgerissenen Dominikanerkirche auf dem Berliner Schlossplatz. Nach vielen Jahrhunderten kommt er nun wieder ans Tageslicht. „Marco, ist das da der Schädel?“, ruft Michael Malliaris, Archäologe und örtlicher Grabungsleiter auf dem Schlossplatz, seinem Kollegen in der Grube zu. Ausgräberhumor. Ein kurzes Kopfnicken, und weiter geht der Rundgang über das derzeit prominenteste archäologische Grabungsfeld der Republik.

Dass da unter der Erde im Zentrum Berlins, wo bis 1950 das Schloss stand und nach dem Willen des Bundestags bald das Humboldt-Forum an die barocke Hohenzollernresidenz erinnern soll, mehr zu finden sein würde als märkischer Sand, wussten Fachleute schon lange. Nun erreicht das Bewusstsein für die Geschichtsträchtigkeit des Grundstücks, auf dem die größte Vergangenheitssimulation der deutschen Baugeschichte geplant wird, endlich auch die Öffentlichkeit.

Vor zwölf Jahren gab es schon einmal eine archäologische Grabung an der Nordwestecke des Schlossareals. Zum Vorschein kamen barocke Fundament- und Kellerreste, verkleidet mit Wand- und Bodenfliesen aus der Zeit Kaiser Wilhelms II., die ein wenig an das abgeschabte Ambiente der Berliner U-Bahn erinnerten. Angesichts aufgeheizter Rekonstruktionsdebatten verlor sich das Interesse für die realen, eher unansehnlichen Schlossreste zunächst buchstäblich im Sand.

Seit Mai 2008 wird am Schlossplatz auf einer Fläche von 10000 Quadratmetern erneut gegraben: für eine knappe Million Euro, unter der Fachaufsicht des Berliner Landesdenkmalamts. Bezahlen müssen das die künftigen Bauherren des Humboldt-Forums, der Bund und das Land Berlin, Öffentlichkeitsarbeit inklusive. Jeden Freitag führen Michael Malliaris und seine Kollegen interessierte Besucher über die Grabung. Das Interesse an den Schlosskellern, da sind sich die Archäologen einig, hat in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Sicher nicht nur wegen der ausgebuddelten Skelette und Silbermünzen.

Das Schlossareal, zur Mitte Deutschlands hochstilisiert, gleicht einer Großbaustelle, noch ehe sich die Kräne drehen. Franco Stella, der Sieger des internationalen Architekturwettbewerbs, ist zur tragikkomischen Figur geworden. Unerbittlich schreibt die öffentliche Meinung einen Architekten ab, der nicht einmal seine eigenen Geschäftspartner im Griff hat.

Wenige Tage, nachdem das Bundeskartellamt den Vertrag Stellas und seiner beiden deutschen Partnerbüros aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gekippt hat, droht dem Projekt nun neues Ungemach: Für die Schlosskeller, zugleich reale Basis und ideelles Fundament des Schlossprojekts, reicht das Geld nicht. Von den 552 Millionen Euro, die der Bundestag für Neubau und Einrichtung des Humboldt-Forums bewilligt hat, ist eine lächerliche Million für die Einbeziehung der historischen Relikte eingeplant. Im Klartext: Bleibt es bei der politisch schöngerechneten Spar- und Mogelpackung der Schlossfinanzierung, müsste man zumindest Teile der erhaltenen Schlosskeller - als Bodendenkmal genießen sie gesetzlichen Schutz – abreißen oder zubetonieren. Seriosität und Glaubwürdigkeit der Rekonstruktion stehen auf dem Spiel.

Bekannt wurden die bad news nur, weil der Staatssekretär des Bundesbauministeriums, Engelbert Lütke Daldrup, in der vergangenen Woche an einer internationalen Tagung im Pergamonmuseum teilnahm. Dort ging es um den vorbildlichen Umgang mit Bodendenkmalen und ihre Einbeziehung in Neubauprojekte. Gelungene Beispiele aus Athen oder Barcelona erinnern schmerzlich daran, dass der hohe konservatorische Anspruch des Unesco-Welterbes Museumsinsel derzeit willkürlich am Lustgarten endet.

Auf Nachfrage erklärt Lütke Daldrup, es sei „ein Missverständnis, dass die Summe dafür auf eine Million Euro begrenzt ist – diese Summe ist in der Planung für den Mehrbedarf vorgesehen, es gibt aber auch Erhaltungsmaßnahmen, die kostenneutral gestaltet werden können, etwa der Erhalt der massiven Mauerwerksreste.“ Gleichwohl ist nun lediglich noch von „archäologischen Fenstern“ die Rede, in denen erhaltenswerte Bauteile öffentlich zugänglich gemacht werden sollen.

Dabei hatte Stellas Wettbewerbsentwurf, wie der Berliner Landesarchäologe Matthias Wemhoff betont, eigentlich die Erhaltung der meisten unterirdischen Reste vorgesehen. Auch die Archäologen gingen bislang davon aus, dass die historischen Spuren des Schlosses in den Neubau integriert werden. Nun drohen ein Tiefgeschoss unter der Agora sowie die Trasse der neuen U-Bahn, die ausgerechnet unterm Schloss fahren soll, Denkmalsubstanz zu vernichten. Barock mit Bahnanschluss.

Derzeit präsentiert sich das, was nach der Sprengung und dem Bau des Palastes der Republik vom Schloss unterirdisch noch übrig blieb, in relativer Geschlossenheit. Die interessantesten – und für den archäologischen Laien ansehnlichsten – Entdeckungen machten die Archäologen am Westflügel, wo die gewaltigen, auf Eichenpfählen ruhenden Natursteinfundamente des Eosanderportals freigelegt wurden. Unter der Straßenfläche vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude haben die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Mauern des Dominikanerklosters darauf gewartet, von Grabungshelfern freigelegt, von den drei Archäologen bewertet und von zwei Zeichnern im Maßstab eins zu zwanzig dokumentiert zu werden. Auch unter dem bereits freigelegten rötlichen Granitpflaster des Eosanderhofs vermutet das Grabungsteam mitttelalterliche Mauerzüge. Malliaris hofft: „Vielleicht können wir endlich klären, wo genau hier die Stadtmauer von Alt-Cölln verlief.“

Der ungewöhnlichste Fund kam in einem Laufgang zum Vorschein, der quer unter dem Eosanderportal verläuft. Löcher im Boden dienten 1950 dazu, Sprengladungen zu montieren. Im Schutt des gesprengten Kellergewölbes entdeckten die Archäologen unbeschädigte Marmorreliefs mit einer Museumsinventarnummer. Wie Recherchen ergaben, gehören die Fragmente zu einem im 16. Jahrhundert in Oberitalien entstandenen Sarkophag aus dem Kunstgewerbemuseum.

Die Schlosskeller erzählen viele Geschichten, alternative zumeist zu den glänzenden der Herrschaften oben: Geschichten von Dienern, Hofbeamten und Arbeitern, die diese Räume nutzten; von Zerstörung und Abriss Mitte des vorigen Jahrhunderts; oder auch von den Herren Waldmühl und Grünberg, die ihre Namen Anno 1862 als Graffiti in einem Treppenpfeiler hinterließen. Touristen? Gelangweilte Soldaten?

Was die archäologische Grabung, die nach derzeitigem Planungsstand bis zum Sommer 2010 fortgeführt werden soll, derzeit ans Tageslicht fördert, sind nicht nur Fundamente und Keller. Ihr Abriss oder Erhalt entscheidet über den Sinn oder Unsinn, kurz: über die Glaubwürdigkeit des Gesamtprojekts. Landesarchäologe Wemhoff bringt es auf den Punkt: „Die Einbeziehung der originalen Reste des Schlosses muss zum Maßstab werden. Wir sollten jetzt zu einer Planung kommen, die diesem Anspruch gerecht wird. Erst danach kann man über die Kosten sprechen."

Kostenlose öffentliche Führungen über die Grabung am Schlossplatz finden jeden Freitag um 14 Uhr statt. Treffpunkt vor dem Portal des ehemaligen Staatsratsgebäudes, Schlossplatz 1.

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