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Kultur: Schlüsselübergabe: Die Fülle des Raums, der Zauber der Räume

Warum sollte sich das Schicksal eines Architekten in anderen Bahnen bewegen als das eines braven Christenmenschen? Er ist freier Herr aller Dinge und niemandem untertan, und er ist dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Warum sollte sich das Schicksal eines Architekten in anderen Bahnen bewegen als das eines braven Christenmenschen? Er ist freier Herr aller Dinge und niemandem untertan, und er ist dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. In diesem einen Punkt berühren sich sogar Architektur und Politik: in der Lust des Möglichen und der Verzweiflung des Notwendigen.

Zwischen Freiheit und Knechtschaft behauptet die Architektur einen eigenen Ort, den zwischen Raumkunst und Kunstgewerbe. Über Jahrtausende konnte sie diesen Weg gehen, in der Sehnsucht nach suggestiver Räumlichkeit, in der Sicherheit handwerklicher Konsistenz. Geblieben davon, in unserer entropisch nivellierten Zivilisation, ist die Idee vom Zauber und der Zeitlosigkeit der Räume. Verloren gegangen ist - mit dem alten "Bauen in Stein" - ihre Umsetzung in die Lust und den Luxus des Materials; und wenn der versucht, erzwungen wird, entstehen doch nur die Surrogate des Geldes. Was wir in unseren modernen Zeiten noch wollen können, worauf wir noch hoffen dürfen, wäre räumliche Fülle bei aller Schlichtheit des Materials. Und genau das haben wir hier im Kanzleramt umzusetzen versucht: räumliche Fülle vor allem im Kontrast von Dimension und Proportion, von Stimmung und Atmosphäre.

Da ist der "große Bahnhof" des Foyers als dynamischer, temperierter Teil des einen Raumes zwischen Spree und Forum. Das ist nur Zwischenraum, fast Außenraum, nur Fluss, nur Stromschnelle, kein Raum aus eigenem Vermögen. Eduardo Chillida hat diesem zwei schwere Eisen, Markus Lüpertz ein paar schwere Farben in die Strömung gestellt.

Da ist die Schlucht der Skylobby, wo alle Tugenden des Weitblicks - über das ganze Land bei Berlin -, wo alle Register charmanter Gastfreundschaft gezogen werden, die euphorisierende Energie der Stadt ins gesellschaftliche, ins politische Spiel gebracht wird. Auch das keine in sich selbst versunkene Räumlichkeit, eher die Brücke, die die Neugier weckt auf den Kurs, den dieses Regierungsschiff steuert.

Und da sind, im vollen Kontrast zu den Orten des Zusammenkommens, der Konferenzen und Festlichkeiten, der Empfänge und Defilees, die Räume des Regierungshandelns, da, wo das Gespräch, die Arbeit der Politik, intime Räume fordert. Nicht repräsentative Betonung, hohe Säle etwa - die kennen wir zu Genüge, auf die wollte selbst die DDR am Schlossplatz nicht verzichten: Gerade nicht "Würde", gerade nicht "Bedeutung und Distanz", diese Räume müssen ganz besonderes leisten. Ein Kanzlerarbeitszimmer, auch eine Kabinettrunde, sind für das feine Ohr gemacht, für das kluge Wort, sind Sensoren für die sensible Geste.

Dem "schlichten" Material von Sandstein und Weißbeton, von Serpentin und Velours, von Lack und Holz und leider auch von Putz und weißer Wandfarbe steht die inspirierende Atmosphäre des Hauses zur Seite, die Leichtigkeit der großen Massen im Licht. Dieses durchaus Generöse des Amtes atmet eine archaische Modernität, die man auch lesen kann als eine Art Hafterlass nach den Perioden architektonischer Selbstbestrafung, die wir gerade auch in Berlin in den letzten Jahrzehnten an uns exekutiert haben.

All diese Orte und Räume des neuen Kanzleramts - und ich denke mir die Wintergärten mit ihrer kommunikativen Energie dazu - sind nichts anderes als der Versuch, mit Mitteln der Architektur der grassierenden zynischen Vernunft unseres Gemeinwesens einen Republik eigenen Enthusiasmus entgegen zu stellen, ganz im Sinne Adolf Arndts, der von den zentralen Bauten der Demokratie eine solche "Strahlkraft über die Zeiten" fordert: Zeiten, in denen sich das Haus mit Geschichte sättigen wird.

"Die Deutschen" - so ein aktuelles französisches Wort - "grübeln über Fragen, die ihnen andere gar nicht stellen". Wenn die "Fragen an die deutsche Geschichte" immer nur in ein politikfrustriertes Lebensgefühl einmünden, wenn die Krankheit des Deutschseins, die Angst - vor sich selbst und vor den anderen - jede Lust abtötet, das Risiko zu teilen, das ein solches Haus zu bauen versteht, dann müssen sich Architekt und Hausherr den ängstlichen Nörglern entgegenstellen, in der schönen Gewissheit, dass dieser Bau - jenseits der Komödie von Stil und gutem Geschmack - schneller als gedacht in seiner eigenen Zeit ankommen wird.

Die Stimmen, die ihn bereits jetzt willkommen heißen, gehören ja nicht etwa einem autohypnotischen Clan von Esoterikern an. Sie sind die nur etwas freieren Geister.

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