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Kultur: „Schlüter kommt wieder“

Von Christina Tilmann Am Ende der Abstimmung kam fast so eine Stimmung wie beim Weltmeisterschaftsfinale auf: „Es wurden 586 gültige Stimmen abgegeben. Davon stimmten 384 für die Alternative A.

Von Christina Tilmann

Am Ende der Abstimmung kam fast so eine Stimmung wie beim Weltmeisterschaftsfinale auf: „Es wurden 586 gültige Stimmen abgegeben. Davon stimmten 384 für die Alternative A...“ Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs wird unterbrochen. Die Parlamentarier drängen sich um das Stimmpult. Jubel brandet auf, Klatschen, Bravos, nur wenige Buhs aus der PDS-Riege „...und 133 für die Alternative B. Damit ist die Alternative A beschlossen.“ Das heißt: Sollte jemals ein Gebäude auf Berlins Schlossplatz gebaut werden, wird es die Gestalt des alten Hohenzollernschlosses tragen. „Schlüter kommt wieder“, murmelt befriedigt Wilhelm von Boddien, der mit Ehefrau auf der Zuschauertribüne die Debatte verfolgte.

Das Gefühl von historischem Moment, das in diesem Moment durchs Haus weht, war in der vorangegangenen 90-minütigen Debatte im Bundestag kaum zu spüren gewesen. Es war keine Sternstunde der parlamentarischen Streitkultur, wie es etwa die Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal oder die Verhüllung des Reichstagesgewesen war. Zu deutlich war allen Beteiligten der Wunsch anzumerken, dass eine über 12-jährige Debatte endlich ihr Ende finden möge. „Nach 12-jähriger Diskussion sind keine neuen Argumente mehr zu erwarten“, hatte Eckhardt Bartel (SPD) gleich zu Beginn erklärt: „Sie werden auch heute keine zu hören bekommen, außer, jemand wärmt die alte Debatte noch einmal auf.“

Norbert Lammert, kulturpolitischer Sprecher der CDU, brachte die lange Vorgeschichte noch einmal pathetisch auf den Punkt: „Zahllose Gutachten sind geschrieben worden, ergebnislose Wettbewerbe abgehalten, unzählige Bücher und Artikel zur Schlossfrage erschienen. Nun ist die Zeit für eine Grundsatzentscheidung reif.“ Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, wie Lammert ein leidenschaftlicher Vertreter der „Alternative A“ genannten historischen Fassadenlösung, drängte auf Entscheidung: „Nach 12 Jahren Debatte von Eile zu reden, ist falsch. Es wäre eine Blamage der Politik, wenn nur eine nächste Runde der Entscheidungsverzögerung eingeläutet würde.“ Der Souverän, so Thierse, habe das Recht zur Entscheidung darüber, wie die historische Mitte aussehen soll: „Diese Lösung zu wollen ist die mutigere Entscheidung.“

Für wie wichtig für das Selbstverständnis der Berliner Republik die Entscheidung über den zentralen Platz ihrer Hauptstadt gehalten wurde, zeigt das überraschend zahlreiche Erscheinen der Parlamentarier: 589 waren am späten Donnerstag abend zur ntlichen, nicht fraktionsgebundenen Abstimmung erschienen - und das, obwohl die vorangehenden Redebeiträge wie auch die Einlassungen der letzten Tage kaum einen Zweifel daran gelassen hatten, dass die Entscheidung letztlich pro Schloss fallen würde.

Vergessen die Polemik der vergangenen Jahre - nur am Rande war noch die Rede von „Disneyland“, von „preußischem Militarismus“, „wilhelminischem Kitsch“ oder „Tugendwächtern“ die Rede. Antje Vollmer blieb es überlassen, die ästhetische Frage der Fassadengestaltung von der politischen Symbolträchtigkeit zu trennen: „Es gibt keine naturgegebene Identität zwischen Baustil und Demokratie“, erklärte sie in ihrem Plädoyer für das „Herz der Stadt“. „Demokratie kann in jedem Gebäude stattfinden, und Missbrauch politischer Macht ebenso.“

Dass am Donnerstag überhaupt eine Entscheidung über die so leidenschaftlich wie fundamentalistisch umstrittene Frage der Rekonstruktion des Stadtschlosses fallen konnte, verdankt Berlin der Arbeit der Expertenkommission „Historische Mitte“, die die Aufmerksamkeit zunächst weg von der Fassadenfrage und hin zu Nutzungs- und Finanzierungsfragen lenkte. Und auch wenn mit der Fassadenentscheidung noch keineswegs geklärt ist, wann das Schloss gebaut werden wird, wer es bezahlen soll oder was schließlich in ihm stattfinden wird, ist es ein erster Schritt auf einem zielgerichteten Weg. Den oft erhobenen Vorwurf, dass sich die Debatte im Kreise bewegt, wird man diesem Bundestag nicht machen können.

Einzig die Sprecher der PDS gossen noch etwas Öl ins politisch gespannte Ost-West-Verhältnis: Kultursenator Thomas Flierl, als Vertreter Berlins auf der Bundesratsbank vertreten, brach noch eine letzte Lanze für den zum Abriss bestimmten Palast der Republik und stellte das „bloße Sehnsuchtsbild des Schlosses“ gegen die „lebendige Erinnerung der Ostdeutschen“, die sich mit Palast verknüpfe, und äußerte Unverständnis darüber, dass über die Gestalt eines Gebäudes entschieden werden könne, ehe die Finanzierung geklärt sei.

Etwas Schärfe in die Debatte hatte Peter Conradi, der Chef der Architektenkammer und erklärter Feind einer Schloss-Rekonstruktion, gebracht, als er im Vorfeld erneut einen unbeschränkten Wettbewerb mit den Worten gefordert hatte: „Geben Sie Ideenfreiheit.“ Den Verdacht von Zensur und Zwang wollten sich auch die Vertreter eines auf die Schlossfassade beschränkten Wettbewerbs nicht auf sich sitzen lassen: „Diese geschichtsträchtigen Worte zeugen für mich eher von Geschichtsvergessenheit“, polemisierte Wolfgang Thierse und erinnerte: „Es gab noch nie ein Denk-Verbot. Im Gegenteil: Ich erinnere Sie daran, dass es einen öffentlichen Wettbewerb gegeben hat.“ Und Dietmar Kansy erinnerte an den Streit um die Reichstagskuppel, die schließlich auch vom Parlament entschieden - und seitdem vom Volk begeistert angenommen worden sei.

Am Ende blieb Lammert die Schlusspointe vorbehalten: „Gerhard Schröder hatte zu Anfang der Legislaturperiode erklärt, er wolle die Schlossfrage nicht zur Chefsache machen. Aber wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann das Schloss. Nun, gegen Ende der Legislaturperiode, gibt es nicht mehr viel, womit wir ihm helfen können. Aber diesen Wunsch wollen wir, wir alle hier, quer durch die Fraktionen, ihm gern erfüllen.“

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