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Kultur: Schnäppchen – ungelesen, originalverpackt

LESEZIMMER Rainer Moritz über einträgliche Methoden der Bücherentsorgung Das Weihnachtsfest naht und mit ihm Geschenke, die wir nicht erbeten haben. An diesem alten Brauch wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern.

LESEZIMMER

Rainer Moritz über einträgliche Methoden der Bücherentsorgung

Das Weihnachtsfest naht und mit ihm Geschenke, die wir nicht erbeten haben. An diesem alten Brauch wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. Was tun, um all die Verlegenheits- oder Provokationsgaben sinnvoll zu entsorgen? Zu den unerwünschten Objekten unterm Tannenbaum gehören nicht nur Krawatten mit Tiermotiven, Dampfreiniger, Eintrittskarten fürs André-Rieu-Konzert oder Wandteller mit alpinen Motiven. Nein, dazu zählen auch ungeliebte Bücher. Bildbände zum Beispiel, die sich mit Golfplätzen auf Bali, dem Tiefseetauchen oder den Lavendelfeldern in der Provence befassen. Was sind sie, wenn nicht Notlösungen, mit denen in letzter Minute der Umsatz des leidenden Buchhandels angehoben werden soll? Und auch mit dem absolut ultimativen Pasta- Kochbuch, dem „Kleinen Feldbusch“ für die schwangere Nachbarin oder der provokanten Michael-Moore-Kassette für den US- freundlichen Schwiegervater ist vielleicht nicht immer passende Festtagsfreude verbunden.

Was also tun? Richtige Leser tun sich schwer damit, liebevoll geschriebene, gedruckte und gebundene Bücher mit kaltherzigem Schwung ins Altpapier zu werfen. Gewiss lassen sich Bücher, wenn der Schenkende sie nicht aus der schonenden Schrumpffolie nahm, weiterverschenken. Moralisch freilich ein zweifelhafter Vorgang, der das Entsorgungsproblem zudem nur verlagert. Andere eilen in Antiquariate oder erinnern sich daran, dass der ältere Mensch im Seniorenstift gerne liest und sich über mildtätige Spenden gefälligst zu freuen hat. Eine Kölner Kinderärztin, so wurde mir aus gut informierten Kreisen berichtet, entledigt sich ihrer überzähligen Bücher auf eine Weise, die nicht nur problemlos hilft, den Haushalt zu entlasten, sondern auch Freude bereitet und die Menschenkenntnis erweitert: Sie breitet ihr Angebot auf dem Fenstersims ihrer Parterrewohnung aus, versieht es mit der Aufforderung „Zum Mitnehmen“ und ergötzt sich schließlich an den Reaktionen stutzig gewordener Passanten, die das Straßenschnäppchen – mal gierig, mal verschämt – einsacken.

Eine neuere Methode der (überdies finanziell sogar einträglichen) Bücherbeseitigung bietet die Firma ebay, die ohnehin tagtäglich den Beweis liefert, dass das Internet das bislang für unmöglich Erachtete mühelos zu leisten vermag. Auch Bücher aller Art lassen sich hier aufs Schönste versteigern, und wer gute Ware anzubieten hat (den ungeschwärzten Bohlen oder die Erstausgabe von „Tonio Kröger“) wird seine durch den Kauf von Weihnachtsgeschenken beeinträchtigte Haushaltskasse hier gut auffüllen können.

Manche Menschen sind gleicher als andere Menschen und verfügen deshalb über größere Bücherressourcen. Denken Sie etwa an den gemeinen Literaturkritiker: Tagein, tagaus erhält er von den eifrigen Mitarbeitern der Verlagspresseabteilungen kostenlos Bücher ins Haus geschickt, getragen von der vagen Hoffnung, dass der Kritiker sich zu einer famosen Rezension aufraffen möge. Hunderte solcher Freistücke verlassen so die Verlagsauslieferung, und Wochen später rätseln Verleger, Lektor und Pressefrau darüber, was mit den schönen, die Kalkulation belastenden Rezensionsexemplaren wohl geschehen sei.

Eine Antwort ist offensichtlich: Wie die akribischen Nachforschungen, die ich, wie immer, für meine Texte in diesem Blatt anstelle, ergaben, gibt es Kritiker, die sich nicht scheuen, das ihnen mit zarten Wünschen übersandte Gut umgehend bei ebay zum Kauf anzubieten. Eine Dame, deren Namen wir nicht nennen wollen, tut dies seit längerem mit wahrer Leidenschaft, verkauft Hermann Hesse, Ulrich Tilgner, Ted Honderich, Colum McCann, Hermann Lenz oder Ephraim Kishon auf dem Internetweg. Die Exemplare, so die Beschreibung der aktiven Verkäuferin, seien „verlagsfrisch“, „ungelesen“ und „originalverpackt“. Wie schön für die in der Regel große Bieterschar, die bereits in zahlreichen ebay-Bewertungen ihrer Begeisterung („geil“, „Ware 1a Zustand“, „schönes Stück“) über diese Neuware Ausdruck verlieh. Warum in die Buchhandlung gehen, wenn sich die Ladenpreisbindung am Computer umgehen lässt?

Eine kleine Ungeschicklichkeit hat unsere wackere, zu ihrem eigenen Tun wohl nicht immer kommende Rezensentin vor kurzem auch erkannt und ausgemerzt: Ihr leicht zu entschlüsselndes Verkäuferkürzel wurde geändert. Nun heißt sie nach einer Figur aus der Comicwelt Entenhausens. Es ist nicht Glückspilz Gustav Gans und auch nicht Dagobert Duck, so viel scheint ebay noch nicht eingebracht zu haben.

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