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Kultur: Schneller als jedes Gemälde

In Belgien ist das normal. Da steht in einer hochseriösen Literaturgeschichte ein Kapitel zur Prosa, dann eines zur Lyrik, eines zur Dramatik – und dann kommt eines zum Comic.

In Belgien ist das normal. Da steht in einer hochseriösen Literaturgeschichte ein Kapitel zur Prosa, dann eines zur Lyrik, eines zur Dramatik – und dann kommt eines zum Comic. Gut, Belgien ist ein Sonderfall. Von dort stammen Tim und Struppi, Spirou, die Schlümpfe, Lucky Luke und Rantanplan, der „dümmste Hund der Welt“. Doch auch die aktuelle Produktion hat es in sich. Was François Schuiten gemeinsam mit seinem französischen Partner Benoît Peeters in den „Geheimnisvollen Städten“ leistet, ist einfach große Kunst.

In Deutschland hingegen wird die „Neunte Kunst“ noch immer nicht ernst genommen. Deswegen ist es höchst verdienstvoll, dass sich Norbert Wehrs Essener Literaturzeitschrift „Schreibheft“ (Rigodon Verlag) in ihrer Ausgabe zum 30. Jubiläum dem Comic widmet. Jan-Frederik Bandel und Sascha Hommer haben das Dossier „Geteilte Beute – Comics & Literatur“ betreut. Darin beschreibt Brigitte Kronauer das Verhältnis des Comics zu angrenzenden Künsten. Er sei „langsamer als der Film, dessen Abläufe er zerlegt, schneller als das Gemälde, dem er die Dimension der Zeit hinzufügt, wortloser als die Literatur und, im Gegensatz zu ihr: sichtbar, simultan lesbar.“ Marcel Beyer meditiert über den Comic als „Beweglichkeit der Sprache“, Ole Frahm macht sich grundsätzliche Gedanken über eine Poetik des Comics, die gesellschaftlich relevant wäre. Und natürlich gibt es Bildergeschichten – von Sascha Hommer (nach Kronauer) und Amanda Vähämäki (nach Beyer). Oder Koproduktionen von Zeichnern und Textern wie Mawil und Jochen Schmidt oder Oliver Grajewski und Kathrin Röggla . Schmidt und Röggla werden dabei sein, wenn das Schreibheft 68 am 27.4. (21 Uhr) in der Galerie Neurotitan (Rosenthaler Str. 39) vorgestellt wird. Neben dem Comic-Dossier wartet die Jubiläumsnummer mit Themen auf, die dem „Schreibheft“ seit Jahrzehnten teuer sind: Der experimentelle Dichter Oskar Pastior wird von seinen Gesinnungsgenossen aus der Pariser „Werkstatt für potenzielle Literatur“ verabschiedet. Es gibt unbekannte Gedichte um den Matrosen „John Marr“ von Herman Melville. Und Ulrich Blumenbach erläutert die Schwierigkeiten, David Foster Wallace zu übersetzen.

Die Liaison von Comic und Literatur indes birgt noch immer gewaltiges Potenzial. Sicher, der Underground-Altmeister Robert Crumb hat Kafkas Leben „kurz und knapp“ zusammengefasst. Stéphane Heuets Comic-Adaption von Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ verkauft sich besser als die Vorlage. In Belgien aber, da kann man beinahe das Gesamtwerk des großen Mannes aus Lüttich, Georges Simenon, als Comic erwerben. Und das schon seit etlichen Jahren.

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