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Kultur: Schneller werden im Stillstand

Punk ist Kunst: Eine Ausstellung in der NGBK erinnert an die Entstehung der Subkultur aus dem Geiste des Nichts

„Auf der Treppe wurde jemand zusammengeschlagen“, erinnert sich eine Zeitzeugin, „irgendeiner urinierte gegen die Bilder und der, der mir gerade auf die Füße getreten war, begann sich in formvollendeter Höflichkeit zu entschuldigen.“ Wenn die Erinnerung nicht trügt, waren die alten, wilden Zeiten des SO 36, des ersten Berliner Punk-Clubs in der Oranienstraße, ein großes Rempeln und Raufen. Zu vieles lief damals in Kreuzberg durcheinander, ständig stieß man gegen irgendetwas, ein politisches Konzept, einen Kiffer, lagen sich K-Gruppen und Punker-Cliquen in den Haaren, beanspruchten linke Terror-Apostel und Sympathisanten der Bewegung 2. Juni ideologische Hoheitsrechte, während der Maler Salomé sich in ein Schaufenster setzte und in Stacheldraht hüllte. Immer wieder kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen. Auch Martin Kippenberger wurde 1979 krankenhausreif geschlagen, weil ein paar Punks glaubten, dass der umtriebige „Impressario und Künstlerunterhalter“ das SO 36, wo er sich finanziell und als Programmmacher engagierte, ruiniert habe. Eine zersplitterte Bierflasche zerschnitt sein Gesicht.

Das Bild der mit Mullbinden bandagierten Visage wurde später für Kippenberger zu einem beliebten Motiv („Dialog mit der Jugend“). Es leitet nicht nur seine notorische Selbststilisierung als gescheiterter Künstler ein, sondern markiert auch den zweifelhaften Versuch einer Artisten-Bohéme, Punk und Kunst zusammenzudenken. Es ist zum Symbol für den tiefen Riss geworden, der die neue Subkultur von Anfang an prägt. Während nämlich Künstler als erste deren sprengende Kraft erkennen und für eine erstarrte – in Berlin bedeutungslose – Kunstszene abschöpfen wollen, entwickelt sich jenseits akademischer Kreise ein ganz anderes Verständnis: Punk als soziale Revolte richtet sich explizit „gegen Kunst“, gegen das folgenlose bürgerliche Interesse an allem Abartigen, Extremen, dem noch das Antibürgerliche nicht zu fremd ist, um es zu integrieren. So entsteht eine Kluft zwischen Straßen- und Art-Punk, die in Deutschland nie überbrückt wird.

Auch in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) wirkt diese Trennung fort. Dort, gegenüber vom SO 36, wird jetzt unter dem Titel „Lieber zu viel als zu wenig“ nach einem Ausspruch des Plattenproduzenten Alfred Hilsberg die Entstehung der deutschen Punkkultur wie ein Kunstereignis zelebriert. Bewusst setzt sich die minimalistische Ausstellung von der Erinnerungswelle ab, die mit Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ einsetzte und versiegte Vitalitätsquellen anzapfen will. So unternahm die Düsseldorfer Kunsthalle mit der „Zurück zum Beton“-Schau bereits vor einem Jahr den Versuch, die Anfänge von Punk und New Wave möglichst authentisch nachzubilden. In der NGBK steht nun die künstlerische Verarbeitung dieser Bewegung im Mittelpunkt. Hier soll jenes „vernichtenden Moments“ gedacht werden, da die westliche Zivilisation ihrer eigenen Abgründe gewahr einen tiefgreifenden Kulturbruch erlebt. Es geht um die Geburt des Punk aus dem Geiste des Nichts. Was eine ziemlich steile These ist, und sie verrät ein Bedürfnis nach ästhetischen Strategien, die weit über den Provokationsrahmen von Punk-Symbolen wie Hakenkreuzen, zerrissenen Hosen, Irokesenschnitten und No-Future-Sprüchen hinausgehen. Punk soll mehr sein: eine Ausdrucksform des Nihilismus. Also Kunst, die sich nicht nur nicht erklärt, sondern auch nicht erklären kann, weil sie unter dem Schock der Leere steht.

Wie sehr sich Punk gängigen Rezeptionsmustern entzog, weil es an einer Sprache fehlte, die gleichzeitig totale Affirmation und radikale Ablehnung ausdrückt, demonstrieren die NGBK-Kuratoren zum Auftakt in einer mit schwarzer Schaumstoffisolierung ausgeschlagenen Schallkammer, in der die Lieder von Mittagspause, Der Plan, Malaria, F.S.K., Die Tödliche Doris, Palais Schaumburg, Einstürzenden Neubauten und anderen wie unter Laborbedingungen zu hören sind. Monotone Beats, frenetische Sprechgesänge, die sich dadaistischen Parolen hingeben („Ich tanze im Quadrat/ Du tanzt im Quadrat/ Wir tanzen im Quadrat“). Selten, dass eine verzerrte Stromgitarre das harmonische Minimal-Gerüst zerfetzen will. Punk in seiner deutschen Variante, das ist ein Bastard der abstrakten Poesie, er greift zu tautologischen Kurzformeln und durchmisst meist düster-mäandernde Soundlandschaften. Da ist es auch egal, von wem welches Stück stammt. Nachschauen kann man es ohnehin nirgendwo. Und muss man es wissen?

Eher nicht. Die Zeit ist über diese Musik hinweggegangen, die für einen kurzen Augenblick davon profitierte, dass die kulturellen Disziplinen durchlässig wurden. Maler, Grafiker und Konzeptartisten wollten plötzlich auch Musiker sein und gründeten Bands, deren Auftritte weniger Konzerten denn aktionistischen Happenings glichen. Helmut Middendorf und seine Kollegen vom Moritzplatz überführten den stürmischen, dilettantischen Gestus der Musik in ihre Malerei. Bernd Zimmer malte 1978 ein 27 Meter breites Monumental-Gemälde („U-Bahn 1/10 Sek. vor der Warschauer Brücke“), das den situativen Punk-Habitus aufgriff. Es sollte zudem als Bühnen-Dekoration für ein Konzert im SO 36 dienen, hing da sogar, doch die Band erschien nicht. In der NGBK wirkt das Werk wie ein kurios dimensioniertes Überbleibsel vergessener Euphorien.

Auch Kippenberger, der sich als Hamburger Kunststudent noch schwer getan hatte, nur als Maler zu gelten, stellte in Berlin sofort ein Schlagzeug in sein Büro und trat unter dem Bandnamen Luxus im SO 36 auf. An Punkrock reizte ihn wenig. Er nahm die Musik als modische Erscheinung wahr, deren Gestus von ihm ironisch gebrochen wurde: „heute denken – morgen fertig“, lautet eine seiner hintersinnigen Bildzeilen. „Die Leute wollten gar nicht unbedingt tolle Musik hören“, befand er, „eigentlich war das wichtigste für jeden, einen schwarzen Raum zu durchqueren, die wollten es nur schaffen da durchzukommen, durch den Gang bis zur Bühne, egal was geboten war.“

Etwas von dieser Geringschätzung wirkt in der NGBK noch nach. So richtet sich die Ausstellung an Leute, die sich in dem verzweigten Netz der Szenen, Kollaborationen und Bezüge schon auskennen. Oder eben die krude-anarchischen Medien-Experimente von F.S.K.-Bassistin Michaela Malián, Rainer Fetting oder Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) wenigstens einmal gesehen haben wollen. Warum sich Anne Jud in schwarzer Lackledermontur im SO 36 einschließen ließ und eine Serie von Selbstporträts fotografierte muss sich ebenso von selbst erklären wie Thomas Wachwegers „Kampfmasken“, die wie eine Mischung aus Gesichtsschutz, Wäschekorb und Halloween-Zitat aussehen. Aber es hilft ein Blick in den exzellenten Katalog, der die historischen Hintergründe ausbreitet. Am aufschlussreichsten ist indes Jörg Buttgereits „Punker erzählen aus ihrem Leben“, eine Videoarbeit, für die der spätere Splatter-Regisseur Konzertaufnahmen mit Interviews verknüpft. „Erzähl doch mal so“, fragt er seinen Freund, der sich kichernd eine Banane ins Maul stopft und nur weiß, dass alles „ziemlich scheiße“ ist. Dieser Depression setzt der angehende Filmemacher („Nekromantik“) albern-rasante Schnitt-Frequenzen entgegen, die den alltäglichen Stillstand zur Spaßinsel machen.

„Lieber zu viel als zu wenig“, bis 5. September in der NGBK (Oranienstraße 25, Kreuzberg), Katalog 12 Euro.

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