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Beschneidung als Gangsta-Ritual. Der amerikanisch Film "Bubala Please" (2013) ironisiert das Heilige. Einer will in dei Gang aufgenommen werden - und muss dafür seine Vorhaut opfern.

© Napkin Note Productions

Ausstellung zur Beschneidung: Schnittstelle der Religionen

Das Ritual der Beschneidung hat in jüngster Zeit für heftige Debatten in Deutschland gesorgt. Nun gibt es „Haut ab!“ im Jüdischen Museum Berlin - die Ausstellung zur Debatte.

Vieles im Leben ist eine Frage der Perspektive – auch, wenn es um religiöse Rituale geht. Auf einem Tora-Vorhang von 1774 ist die Opferung Isaaks dargestellt. Sein Vater Abraham schwingt schon das Schwert. Wie in Tora und Bibel nachzulesen ist, wird es Abraham in letzter Minute erspart, seinen Sohn zu opfern. Gott wollte nur seinen Gehorsam testen.

Auf dem Vorhang ist noch eine Szene dargestellt: Isaak wird beschnitten. Der Bund mit Gott wird im Judentum durch die Zirkumzision besiegelt und nicht durch Menschenopfer, wie es in anderen Kulturen verbreitet war. Die Beseitigung der Vorhaut am männlichen Penis ist so gesehen ein zivilisatorischer Fortschritt.

Viele Menschen messen den Fortschritt heute an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und an Menschen- und Kinderrechten. Sie sehen in der religiösen Beschneidung einen Rückschritt. Das wurde 2012 deutlich, als Kölner Richter das Ritual als „Körperverletzung“ einstuften. Ein Rundgang durch die Ausstellung „Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung“ im Jüdischen Museum ist deshalb lohnenswert.

Ein Drittel der Männer ist weltweit beschnitten, viele von ihnen – etwa in den USA – ohne religiösen Hintergrund. Die Entfernung der Vorhaut war im Alten Ägypten verbreitet, in westafrikanischen Kulturen, bei australischen Aborigines. Lediglich die hellenistische Zeit hatte ein anderes Ideal: den kleinen Penis mit Vorhaut. Die Abbildung auf einem Weinkrug von 470 v. Chr. zeigt, wie auch damals die Frage der Beschneidung für die kulturelle Abwertung benutzt wurde. Ein muskulöser Herakles mit zartem, unbeschnittenem Penis kämpft gegen ägyptische Priester, die kahl, fett und mit großem, beschnittenem Geschlecht dargestellt sind.

Die konkrete Beschneidungs-Praxis veranschaulichen Messerchen aus vielen Jahrhunderten

Die Ausstellung untersucht das Phänomen nicht unter anthropologischen Gesichtspunkten, weshalb man auch nichts zur weiblichen Beschneidung findet oder zu hygienischen und medizinischen Gründen. Es geht auch nicht um Argumente für oder gegen die Zirkumzision. Das Jüdische Museum konzentriert sich vielmehr auf die rituelle Beschneidung in den monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum. Wenn es um die Bedeutung von religiösen Geboten geht, um das, was Menschen heilig ist, helfen Objekte nur bedingt weiter. Im Zentrum der Schau steht deshalb ein Raum, der ganz in weiß gehalten ist, der Farbe des Heiligen. An den Wänden ist das Beschneidungsgebot aus der Genesis zu lesen, das den Bund zwischen Gott und dem Volk Israel begründet.

Die konkrete Praxis veranschaulichen Messerchen aus verschiedenen Jahrhunderten, Tora-Wimpel, eine Beschneidungsbank, historische und heutige Festtagsgewänder für beschnittene Säuglinge und Jungen.

Am interessantesten ist der Raum zum Christentum. Im ersten Jahrhundert haben die Christen das Beschneidungsritual für sich abgeschafft. Dennoch sind sie bis ins 20. Jahrhundert dem Brauch „geradezu obsessiv“ verhaftet geblieben, schreibt der Münsteraner Theologe Thomas Lentes im Ausstellungskatalog. Denn Jesus war nun mal Jude – und beschnitten. Bis in die 1960er Jahre feierten Katholiken am 1. Januar das „Fest der Beschneidung des Herrn“, die Vorhaut Christi wurde verehrt, und auch in der Sakramententheologie spielte die Beschneidung eine wichtige Rolle. Gleichzeitig markierte der Abschied von der Praxis des Rituals die Abgrenzung zum Judentum.

Mittelalterliche Darstellungen der Beschneidung Christi zeigen, wie Abgrenzung und Nähe jahrhundertelang nebenander existierten. Eine Vielfalt, die man sich heute manchmal wünschen würde.

Peter Paul Rubens zum Beispiel zeigt die Beschneidung Jesu als Erlösungshandlung mit selig lächelndem Kind. Lediglich Maria verzieht ein bisschen das Gesicht. Auf dem Gemälde eines Nürnberger Zeitgenossen ist das Kind mit hilflosem Blick einer Gruppe von alten, bärtigen Männern ausgeliefert. Die Szene nahm 500 Jahre später das NS-Propagandaorgan „Der Stürmer“ auf, unter der Überschrift „Ritualmord – Die Juden sind unser Unglück“.

Spielfilmausschnitte zeigen, dass man das Thema heute auch ironisch und witzig angehen kann. Sogar in die Comic-Serie „South Park“ hat die Beschneidung Eingang gefunden.

Bis 1. März, Mo 10-22 Uhr, Di bis So 20 Uhr. Der Katalog kostet 24,90 Euro.

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