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Kultur: Schöne Gegenwart

Der Schriftstellerin Leonie Ossowski zum 80.

Ihr größter Erfolg gilt als Roman für Jugendliche. Leonie Ossowski war schon 52, als sie 1977 von Richy und Schocker erzählte, die „Die große Flatter“ machen, um dem Elend und der Hoffnungslosigkeit einer Mannheimer Obdachlosensiedlung zu entkommen – und kriminelle Bruchlandungen hinlegen. Dem auch verfilmten Buch folgten bis heute 16 Romane und Erzählbände, außerdem Drehbücher zu Fernsehfilmen und Stücken wie „Voll auf der Rolle“.

Dabei wollte die geborene Jolanthe von Brandenstein keine Autorin werden. Die Tochter einer Gutsbesitzerfamilie aus dem niederschlesischen Ober-Röhrsdorf (heute Osowa Sién) begeisterte sich für Pferde, absolvierte jedoch auf Wunsch des Vaters eine landwirtschaftliche Lehre, um den Besitz zu übernehmen. Im Januar 1945 floh sie mit ihren Schwiegereltern vor der Roten Armee erst nach Thüringen, dann nach Oberschwaben, wo sie sich als Sprechstundenhilfe, Sekretärin, Fotolaborantin und Verkäuferin von Plastikschürzen und Kragenstützen durchschlug. Damals schon schrieb sie kleine Geschichten, die eine Agentur an Zeitschriften wie die „Bäckerblume“ verkaufte. Dann bot sie, neugierig auf den Kommunismus, der Defa ein Drehbuch an, durfte in Ost-Berlin hospitieren und drehte mit Frank Beyer den ersten eigenen Film: „Zwei Mütter“ (1957). Unter dem Pseudonym Jo von Tiedemann erschien im folgenden Jahr bei Henschel das Skript „Stern ohne Himmel“ über ein aus dem KZ geflohenes jüdisches Kind. Doch die Euphorie über die DDR verflog. Die spätere Leonie Ossowski zog nach Mannheim und widmete sich ihren sieben Kindern. 1967 beginnt mit dem Debüt „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?“ ihre Karriere als Romanautorin.

Zwei Themen kehren in ihrem Werk immer wieder: der Einsatz für Ausgegrenzte sowie die Annäherung an die schlesische Heimat und deren polnische Bewohner. Beides hat sie sich regelrecht erarbeitet. Leonie Ossowski war ehrenamtliche Bewährungshelferin, Mitglied des Gefängnisbeirats und gründete ein Wohnkollektiv für haftentlassene Jugendliche. Wie viele in den siebziger Jahren verarbeitete sie ihre Erfahrungen in Hörspielen, Berichten und den „Mannheimer Erzählungen“ (1974). Später wird sie zu ihrem Ärger „Sozialtante“ genannt.

Genauso gewissenhaft bereitete sich Leonie Ossowski auf die Rückkehr in ihre Heimat vor, wo sie 1974 für drei Monate lebt. Die Tetralogie „Weichselkirschen“ (1976), „Wolfsbeeren“ (1987), „Holunderzeit“ (1991) und „Das Dienerzimmer“ (1999) erzählt von Deutschen und Polen, die nebeneinander herleben, sich ineinander verlieben und nach 1945 getrennte Leben führen. In resolutem Ton und ohne Scheu vor Sentimentalität erzählt Leonie Ossowski von Frauen, die sich selbst befreien. Den Stoff der unterhaltenden und sozial engagierten Bücher der Berlinerin liefert noch immer ihr Leben: „Die schöne Gegenwart“ (2001) erzählt von der Gründung einer Alten-WG. Heute feiert Leonie Ossowski ihren 80. Geburtstag.

Jörg Plath

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