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SCHÖNE Grüße (7): Nach Moskau!

Ab in die Ferien! In diesen Wochen frönen viele Menschen einer selten gewordenen analogen Tätigkeit: Sie schreiben Postkarten.

Ab in die Ferien! In diesen Wochen frönen viele Menschen einer selten gewordenen analogen Tätigkeit: Sie schreiben Postkarten. Anlass für eine kleine Sommerserie.

Im Sommer 1976 lud ich zusammen mit meinem damaligen Freund den Kofferraum eines klapprigen alten VW-Käfers mit Ravioli- und Nasi-Goreng-Dosen voll. Wir wollten zum Zelten von Westfalen in die Sowjetunion fahren, mitten im Kalten Krieg. Über Dänemark, Schweden und Finnland sollte es zunächst nach Leningrad gehen und dann nach Moskau. Natürlich hatten wir Problembewusstsein aus der Lektüre von Spionage- und Dissidentenbüchern und waren darauf vorbereitet, dass alles, was wir nach Hause schicken wollten, ausgewertet werden würde. Die Postkarte von der Chesme-Säule in Puschkin, die an den russisch-türkischen Krieg von 1768-74 erinnert, ist darum betont uninformativ gehalten: „Hier gibt es viele interessante Museen zu besichtigen.“ Und: „Das Wetter ist auch noch einigermaßen gut.“ Wir grüßten „aus Leningrad“, obwohl Puschkin weiter südlich liegt. Heute lässt sich das mit Google alles leicht orten. Aber damals gab es ja noch keine Computer. Postkarten musste man kaufen, wo man sie kriegen konnte, viel Auswahl gab es nicht.

Ein halbes Jahr vor der Abreise hatten wir angeben müssen, welche Strecke wir an welchem Tag zu absolvieren gedächten. In grenzenloser Naivität orientierten wir uns an dem, was damals auf deutschen Autobahnen machbar war. Gleich hinter der finnisch-russischen Grenze erkannten wir, dass dies kein Erholungsurlaub werden würde. Tiefe Schlaglöcher in den Straßen und immer wieder Hühner oder anderes Viehzeug als lebendige Barrieren machten das Fahren mühsam. An Schummeln war aber nicht zu denken. In regelmäßigen Abständen standen Häuschen an der Straße, in denen offenbar abgehakt wurde, ob wir auch passierten. Damals hielt sich das Verkehrsaufkommen noch in engen Grenzen, so dass dies unkompliziert möglich war.

Mühsam dagegen war es, Geschäfte zu finden mit frischem Brot oder gar Gemüse, um die Ravioli-Diät etwas aufzupeppen. Wenn wir welches fanden, waren wir freilich erstaunt über die gute Qualität. Das säuerliche Volksgetränk „Kwas“, von dem die Passanten alle aus demselben Glas tranken, mochten wir lieber nicht probieren. Auf dem Campingplatz in Leningrad gab es immerhin eine Küche, vor der wir saßen, als ein Uniformierter, ohne uns zu fragen, auf unser Zelt zuging, den Reißverschluss öffnete und innen erstmal alles inspizierte. Wir waren in einem fremden Weltreich.

Irgendwie schafften wir es bis nach Moskau. Von dort gab es noch mal eine Karte nach Hause. „Die russischen … haben uns noch nichts anhaben können.“ Über dem Wort klebte eine Briefmarke mit einem blauen Auto. Eine Erinnerungslücke, vielleicht absichtlich herbeigeführt von einem Postoffizier mit Deutschkenntnissen.

Wir sind gut wieder zurückgekommen. Ein schrecklich haarender russischer Fellmantel wurde uns in Stockholm geklaut, als Unbekannte das Auto aufbrachen. Der wilde Westen hatte uns wieder.

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