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Kultur: Schöne Neue Welt

Marius Meller über Onkel Donalds altmeisterliche Galanterie Einst forderte ein Bundespräsident, ein Ruck solle durch Deutschland gehen. Nun war er da, der Ruck.

Marius Meller über Onkel Donalds altmeisterliche Galanterie

Einst forderte ein Bundespräsident, ein Ruck solle durch Deutschland gehen. Nun war er da, der Ruck. Er ging nicht nur durch Deutschland, sondern gleich durch ganz ZentralEuropa. Er erfasste die Alte Welt, als letzte Woche Donald Rumsfeld den deutsch-französischen Feierlichkeiten zum Jubeltag ihrer Freundschaft zu einem mittlerweile legendären Höhepunkt verhalf, indem er die beiden ehemaligen Erbfeinde bezichtigte, sie repräsentierten „das alte und nicht das neue Europa“. Hierzulande artikulierte sich umgehend der franko-germanische Geist in nie gekannter Einhelligkeit auf vielen Sonderseiten im Feuilleton, dass es eine Lust war. Sogar alte Erzfeinde wie Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk fanden in der neuen Situation zusammen und standen treu beieinander, Spalte an Spalte. Hier werde „alt“ genannt, was in Wahrheit „neu“ sei. Andere bekannten sich aus vollem Herzen zum Alten oder nannten gar die Neue Welt „alt“. Eines war klar: Man war getroffen in Alt-Neu-Europa vom Neu-Alten Amerika. Und man gehörte wie durch Zauberhand plötzlich zusammen. Durs Grünbein, ganz goethisch: „Und wir können sagen, wir sind dabei gewesen.“

Das Tohuwabohu um die Begriffe „alt“ und „neu“ ist vielleicht überhaupt nur verstehbar, wenn man es vor seinem alteuropäischen Hintergrund sieht: vor der Unterscheidung zwischen Altem und Neuen Testament. Der große Theoretiker dieser Unterscheidung ist der Apostel Paulus, der das „alte Gesetz“ durch den neuen Geist des Erlösers „aufgehoben“ sieht. Wenn Paulus von Aufhebung spricht, meint er zwar: die Bewahrung des Alten im Neuen. Andererseits bedeutet das auch: Das Bestehende wird nun eben „alt“ genannt und ist im Grunde überholt. Für die Juden war und ist das natürlich ein Skandalon. Was für sie das Gesetz des Lebens war, sollte von nun an „das Alte“ sein, eine bloße Vorstufe des Geistes.

Der starke, vielleicht immer noch vorbewusste Affekt in der europäischen Reaktion auf die Äußerung Rumsfelds hat seinen Resonanzraum im paulinischen Begriffspaar von alt und neu. Aber vielleicht ist die Globalisierung doch schon einen Schritt weiter: Der stärkste Mythos, den die Neue Welt hervorgebracht hat, ist der des Westernhelden, der – selber gesetzlos und nur dem Heldengeist verpflichtet – für die Etablierung des Gesetzes sorgt. Sobald das Gesetz Kraft hat, muss er sterben. Oder in den Sonnenuntergang reiten.

Das ist die Renaissance der Bürgerlichkeit, die Wiedereinsetzung der Alten in die Neue Welt, die Rückkehr des Gesetzes.

Und genau an diesem Umschlagspunkt befinden wir uns: Noch der Kosovo-Einsatz war zwar legitim, aber nicht unbedingt legal. Heute ist die UN ein erstaunliches Stückchen mächtiger und bietet den institutionellen Rahmen, um den Konflikt ohne Krieg zu lösen. Vielleicht sollte der Held schon diesmal dem Bürger den Vortritt lassen, dem Weltbürger in UN-Uniform.

Wenn sie auch noch bisweilen selbst gerne Helden wären: Die Amerikaner wissen, wie ein guter Western zu enden hat. Und der 70-jährige Donald Rumsfeld zeigte sich kürzlich auch schon etwas galanter gegenüber der alten Dame Europa, als er Journalisten im Vorübergehen sagte: „In meinem Alter ist ,alt’ ein Kosewort.“

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