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Kultur: Schöne Schnörkel

Vom Sinn der Form: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt „Ornament. Ausblick auf die Moderne“.

„Der Vertreter des Ornamentes glaubt, dass mein Drang nach Einfachheit einer Kasteiung gleichkommt. Nein, ich kasteie mich nicht! Mir schmeckt es so besser.“ Diese funkelnden Sätze stammen aus Adolf Loos’ berühmtem Manifest „Ornament und Verbrechen“ von 1908. Sie stehen paradigmatisch für das 20. Jahrhundert und eine kunsthistorische Wende, die weg vom Kult des Schnörkels und hin zu einer Ästhetik des Schlichten führt. Im Grunde ist auch das Design des Apple-Gründers Steve Jobs nichts weiter als die Fortführung dieses minimalistischen Mantras, das klare, reduzierte Formen einfordert. Dekor steht für Verschwendung, Pomp für Dekadenz. Zugleich hat es durchaus eine eigene Ironie, dass der minimalistische Stil gerade wegen seiner ästhetischen Kraft so bewundert wird. Sollte Adolf Loos damals eine Opposition aufgebaut haben, die gar nicht existiert?

Das Kunstmuseum Wolfsburg bezieht sich in der Ausstellung „Ornament. Ausblick auf die Moderne“ auf diese Debatte und macht im provokanten Untertitel deutlich, dass sich ornamentale Formen und moderne Positionen ergänzen. Die Holzschnitte und Kupferstiche aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, die das Herzog- Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig verliehen hat, werden ideengeschichtlich mit abstrakten Werken des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht. Das Bild eines Knotens von Albrecht Dürer (1507), so die implizite Botschaft, sei in seiner Gegenstandslosigkeit ebenso radikal wie die formelhaften Werke der abstrakten Malerei. Und ein Tapetenmuster aus der Renaissance wirkt da ebenso selbstreferenziell wie ein Gemälde des amerikanischen Malers Frank Stella. Immerhin garantiere das Ornament, das keinen strengen Inhalt vermittelt, eine ideologieresistente Sprache.

In diesem Sinne hatte Adolf Loos Unrecht, wenn er behauptete, dass das Ornament bloß der herrschenden Klasse diene, weil es den Betrachter zu betäuben und von der Wirklichkeit abzulenken versuche. Das haben auch einige Modernisten so gesehen: Im Konzept des L’art pour l’art wird etwa das Ornament als subversives Stilmittel eingesetzt – schließlich schaffe der rein dekorative Ansatz einen ideologiefreien Raum. Ornament stehe für Ornament für Ornament, für nichts weiter – so lautet auch die Pointe dieser Ausstellung.

Dies kann man jetzt in den verdunkelten, gut beleuchteten Gängen des Kunstmuseums Wolfsburg in allen Variationen erleben. Neben den repräsentativen Knoten, formschönen Vasen und geschwungenen Girlanden, die auf feinen Drucken erscheinen, sind vor allem die grotesken Motive aus dem späten Mittelalter eindrucksvoll – mit speienden Mäulern und märchenhaften Tieren, die eine strenge Form aufweisen und zugleich Chaos verbreiten. Logik wird hier mit Zuständen des Exzesses zusammengedacht. Sehr modern mutet auch die Grafik „Zwerg auf einer phantastischen Kuh“ von 1610 an. Auf der Radierung des deutschen Künstlers Christoph Jamnitzer sieht man ein aufwendig dekoriertes rätselhaftes Fabelwesen, das von einem Gnom geritten wird, ohne dass sich der Sinn des Ganzen gleich erschließt. Genau in dieser Ambivalenz aber steckt die Kraft dieser Kunst.

Überhaupt: Genau hinsehen lohnt sich. Vor dem Eingang werden zudem Lupen verteilt, so kann man die kleinformatigen, in sensibler Feinarbeit hergestellten Drucke in ihrer ganzen Präzision und Verschlungenheit besser studieren. Leider aber fehlt es an Erklärungen, was die Ornamente – jenseits der Etikettierung „modern“ – eigentlich bedeuten. Etwas mehr Text wäre da hilfreich gewesen, um die Fülle der Verweise zu verstehen. Auch ein Katalog fehlt, der den Besucher durch die Ausstellung führen könnte. Dabei lassen sich bereits auf den Bildern selber zahlreiche mythologische oder auch kunsthistorische Anspielungen erkennen, die durch eine profunde Erklärung das Seherlebnis erhöht hätten. Schade, dass sich die Kuratoren für solche informativen Details nicht ausreichend Zeit genommen haben.

Bis 6. Januar 2013, Mittwoch bis Sonntag 11–18 Uhr, Dienstag 11–20 Uhr

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