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Kultur: Schöner als jeder Tag

Die Kunst von Annelies Strba ist exakt so alt wie die Kunstmeile Auguststraße. Als ihre ersten Fotos in den damals noch besetzten Kunst-Werken gezeigt wurden, schrieb man das Jahr 1991.

Die Kunst von Annelies Strba ist exakt so alt wie die Kunstmeile Auguststraße. Als ihre ersten Fotos in den damals noch besetzten Kunst-Werken gezeigt wurden, schrieb man das Jahr 1991. Als 1992 von einer Kunstmeile noch nicht die Rede sein konnte, folgte die erste Einzelausstellung von Strbas Arbeiten in der gerade gegründeten Galerie Eigen + Art. Seither haben ihre bezaubernden Fotos die Galerie durch die Jahre begleitet: Ein Zeugnis gegenseitiger Treue. So erzählen die autobiografischen Bilder immer auch die Biografie einer bereits Geschichte gewordenen Kunstwelt. Der nostalgische Ton, den die Fotos verbreiten, historisiert eine Vergangenheit, die in der Auguststraße noch Gegenwart ist.

Dabei haftet weder den Bildern noch ihrem Ausstellungsort etwas Nostalgisches an. "Strba gelingt in ihrer aktuellen Show bei Eigen + Art eine konsequente Weiterentwicklung ihrer Fotos in den Formaten Film, Video und Videostill. Wer von ihr anmutige Mädchenträume aus dem Geist des Fotoalbums erwartet, wird beim Betreten der abgedunkelten Galerie sanft geschockt: An dem Betrachter rauscht die düstere Vision eines morbiden Manhattans vorüber. Die Bewegung der Bilder ist so extrem verlangsamt, dass sie eine ähnlich hypnotische Wirkung entfalten wie Andy Warhols 16-stündige Filmaufnahme des Empire-State-Buildings (4000 Euro).

New York ist nicht die einzige Stadt, die von Annelies Strba in ein albtraumhaftes Licht getaucht wird. Auch Paris, Venedig und Berlin gerinnen zu Meditationen des Monumentalen: Paris erstarrt vor "Strbas Kamera zum düsteren Traum, der schöner ist als jeder Tag. Und in "Street Parade 1", einem Film, der zuletzt auf einer Soiree in der Adenauer-Stiftung gezeigt wurde, ist es die elektronisch verfremdete Menschenmasse der Love-Parade, die von "Strba zum Monument verwandelt wird, das plötzlich in ekstatischen Zuckungen zerrinnt. Und wie bei dem Videostill, das den Rosa-Luxemburg-Platz in Infrarot-Optik durchleuchtet (32 000 Euro) verweist jedes der hypnotischen Bilder selbst in der elektronischen Verfremdung auf etwas anderes, etwas das in ihnen nicht erhalten ist.

Einen Hinweis auf den Ursprung dieser romantischen Signatur, die in allen Bildern Strbas auftaucht, liefert die Slide-Show "Shades of Time", die im hinteren Galerieteil untergebracht ist (40 000 Euro). Hier wird ihr gesamter Bilderfundus durch drei Diaprojektoren und einen Soundtrack in Bewegung versetzt. In der Beschleunigung erscheinen vor allem biografische Stationen der in der Schweiz mit einem tschechischen Vater aufgewachsenen Künstlerin: vergessene Paradiese der Kindheit, verwunschene Puppenzimmer und Jugendbetten, Mädchen- und Frauenjahre einer Künstlerin.

Während die romantischen Ansichten eine merkwürdig hypnotisierende Stimmung verbreiten, wird die märchenhafte Schönheit der Mädchen von den Ordnungen der Architektur rhythmisiert. Tristesse und Feenzauber, Plattenbau und bürgerliches Idyll wechseln sich beständig ab. Männer tauchen bei diesen verträumten Blicken ins Familienalbum nur am Rande auf: Stattdessen Mädchen in Schwarzweiß und Farbe, alte und neue Fotos, vergilbte und schrille, die Tochter der Künstlerin, dann deren Tochter, die Lebensphasen wechseln bis zur Ununterscheidbarkeit. Am Ende dieser Wucherungen des Weiblichen steht nur der einsame Rausch einer Autobiografie. Dabei wirken die hauchzarten Arrangements so weiblich wie die Videos von Pippilotti Rist und dabei so ikonisch und klassisch wie die jüngsten Familienporträts Gerhard Richters. Es ist eine eigenartige Anspruchslosigkeit, die einen in diesen Bildern beglückt.

"Strbas Streicheleinheiten fürs Auge überraschen den Betrachter in einem Moment, da man fast vergessen hatte, dass Kunst einmal etwas mit Schönheit zu tun hatte. Eine Art von Scham angesichts der unverschämt geschmeidigen Bilder liegt da nicht fern. Die rückhaltlose Romantik der elektronischen Dornröschenwelt schreit förmlich nach einer ästhetischen Kritik - die bei dieser Kunst jedoch merkwürdig äußerlich bleibt. Sie verhält sich zu ihr wie die Empörung über jene Seifenblasen, die von den beiden Schwestern in dem Film Tausendschönchen von Vera Chytilova in die Welt gepustet werden.

Knut Ebeling

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