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Kultur: Schönheit macht schwindelig

Eine Retrospektive feiert den Magnum-Fotografen Werner Bischof und sein kurzes, schnelles Leben

Ein rosaschwarzer Abendhimmel spannt sich über die Ausfallstraße, durch den Vordergrund tanzen zittrig weiße, rote, orangefarbene und blaue Linien: Leuchtspuren der vorbeirasenden Autos. Das Foto, das Werner Bischof 1953 am Lake Shore Drive in Chicago aufgenommen hat, frappiert durch die Eleganz, mit der sich Geschwindigkeit zu einem kontemplativen Spiel der Lichter und Farben auflöst. Großstädte, so wie Bischof sie sah, gleichen abstrakten Kompositionen. In New York fotografierte er die Spiegelungen auf der Karosserie eines schwarzen Straßenkreuzers und das wellenförmig fließende Deckenlicht in einem Tunnel. Auf einem Hochhausdach parken spielzeugartig klein erscheinende Autos ordentlich in Reih und Glied. Ein schwindelerregender Blick in eine Straßenschlucht, wo sich die Wagen an einer Kreuzung wie zu einem karierten Farbband formiert haben, erinnert an die „Boogie Woogie“-Gemälde von Piet Mondrian.

Berühmt geworden ist Werner Bischof mit diesen Großstadt-Meditationen nicht. Berühmt machten ihn seine Reportage- und Reisefotos in klassischem Schwarz-Weiß. Bilder wie die von hungernden Bauern in Indien, auf denen man ausgemergelte, hohlwangig ins Nichts starrende Gestalten sieht und faltige Hände, die sich wie Vogelkrallen an Stöcken festhalten. „Life“ druckte sie 1951 in einer Titelgeschichte, damals lag die Auflage des Magazins bei fünf Millionen Exemplaren. Oder der Indio-Junge, der mit Filzhut, umgehängter Last auf dem Rücken und Flöte spielend flott ausschreitet „auf dem Weg nach Cuzco“, im Peru des Jahres 1954. Dieter Bachmann, langjähriger Chefredakteur der Schweizer Kulturzeitschrift „Du“, erkannte in dem Jungen eine Symbolfigur universellen Ins-Leben-Geworfenseins. Doch fünfzig Jahre nach seinem Entstehen ist die Exotik des Fotos verbraucht, es wirkt folkloristisch.

Den Illustrierten hatte Bischof seinen Aufstieg zu verdanken, aber unter ihrer auf Sensationen und Effekte erpichten Ästhetik hat er auch gelitten. „Ich gehe immer und überall zu tief in die Materie hinein. Das ist nicht journalistisch“, notierte er. „Ich merke, dass ich kein Zeitungsreporter bin. In meinem Innersten bin ich immer noch – und werde es immer bleiben – ein Künstler.“ Das klingt aufgeplustert, als ob nicht gerade in der Fotografie immer wieder Kunst aus Auftragsarbeit entstanden sei. In nicht einmal einem Jahrzehnt, vom Kriegsende bis zu seinem frühen Tod 1954, hat der Schweizer Magnum-Fotograf ein atemberaubendes Werk geschaffen. Eine Retrospektive bei c/o Berlin präsentiert es nun erstmals in Deutschland in seiner ganzen Vielfalt. Gezeigt werden 174 Bilder, zwei Dutzend davon in monumentalen Abzügen.

„Nur ein Zufall war es, dass die Kamera und nicht der Pinsel mein Begleiter wurde“, erinnerte sich Bischof an den Beginn seiner Karriere. Der 1916 in Zürich geborene Fabrikantensohn beginnt 1932 ein Studium an der dortigen Kunstgewerbeschule. Weil der Kurs für Malerei ausgebucht ist, tritt er in die neu gegründete Fotoklasse von Hans Finsler ein. Frühe Studioarbeiten changieren zwischen Neuer Sachlichkeit und Surrealismus: Werbeaufnahmen für den Schuhhersteller Bally, raffiniert beleuchtete Akte, Stillleben mit Schneckenhäusern, Zitronen oder Zwiebeln, Fotogramme. Im Auftrag des Hilfswerks „Schweizer Spende“ dokumentiert er ab 1945 den Alltag in dem in Trümmern liegenden Nachkriegs-Europa. Das Porträt eines italienischen Flüchtlingskindes in einem Tessiner Auffanglager wird zum Schlüsselbild.

Mit dem Fahrrad fährt Bischof durch Süddeutschland, er reist durch Frankreich, Jugoslawien, Polen, Ungarn, begleitet eine Hilfslieferung nach Griechenland. „Zerschossene Häuser, ungeheuer viel dürftig gekleidete Menschen. Sie sitzen stundenlang auf ihren Bündeln und stieren vor sich hin“, schreibt er in Deutschland in sein Tagebuch. Ein Buchprojekt zerschlägt sich, nachdem sein Foto eines von Granatsplittern zernarbten Kindergesichts auf dem „Du“-Titelbild die Gemüter erregt hat.

Britische Magazine beauftragen Bischof 1949 mit Reportagen über England und Schottland, 1951 wird er von „Life“ nach Indien geschickt, er begleitet für das Projekt „Generation X“ eine junge Frau durch Tokio und hält im Hinterland die Auswirkungen des Korea-Kriegs auf die Zivilbevölkerung fest. 1949 wird er in die Fotografen-Vereinigung Magnum aufgenommen. „Politische Dokumentationen werde ich nicht machen, denn das liegt mir absolut nicht“, schreibt er 1950 in einem Brief an die Agentur „Black Star“. „Das soziale Leben, die Not, der Aufbau – ja. Vergessen Sie nicht, dass ich nach dem Schönen suche, dass es mich interessiert, wie die verschiedenen Nationen die Nachkriegsjugend erziehen.“

Um das Schöne zu finden, bricht Werner Bischof nach Mittelamerika auf. Mit seiner Frau Rosellina schifft er sich 1953 zunächst nach New York ein. Auftragsarbeiten in den USA sollen den Trip in den Süden finanzieren. New York empfindet er als „verdammt egoistischen Platz“ und „kalte brutale Stadt“. Die Autofahrt nach Mexico City dauert drei Wochen. Er fotografiert Indios, die am Straßenrand Wasser verkaufen, die Malerin Frida Kahlo in ihrem Atelier, Blumenhändlerinnen, Hirtenjungen, aztekische Ruinen. Das „Spiel der Farben, die Flecken des Lichts auf alten Mauern“ faszinieren ihn. Ohne seine Frau macht er sich auf den Weg in die peruanischen Anden. In der Nacht des 16. Mai 1954 stürzt sein Wagen in eine Schlucht. Der Fahrer, ein Geologe und Werner Bischof sind sofort tot.

c/o Berlin, Postfuhramt Oranienburger-/Tucholskystr., bis 24. September, tgl. 11–20 Uhr. Im Bentili Verlag, Zürich, ist der opulente Band „Werner Bischof, Bilder“ erschienen, 464. S., 79,80 €.

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