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Kultur: Schokolade mit Schuss

Alkohol gilt als Treibstoff des Nachtlebens. Dabei spricht einiges dafür, dass die Popmusik zur Zeit des Alkoholverbots entstand – womöglich als Ersatzvergnügen.

Alkohol gilt als Treibstoff des Nachtlebens. Dabei spricht einiges dafür, dass die Popmusik zur Zeit des Alkoholverbots entstand – womöglich als Ersatzvergnügen. In den USA trat 1920 der 18. Zusatz zur Verfassung in Kraft. Demnach war die Erzeugung, der Verkauf und die Einfuhr aller alkoholischen Getränke im Gebiet der Vereinigten Staaten verboten. Es begann die Epoche der Prohibition. Der Schwarzhandel explodierte, die Mafia übernahm das Geschäft. Die zwanziger Jahre waren die Ära des Bigband-Jazz, des Swing und des frühen Boogie Woogie. Bluesmusiker in Chicago oder New Orleans tauschten die Gitarre gegen das Piano und hämmerten den Blues nun in die Tasten.

Tänze wie der Jitterbug oder der Lindy Hop entstanden, Letzterer in den Ballsälen von New York, bekannt wurde der Savoy Ballroom in Harlem. Wer jemals einen Lindy-Hop-Tänzer in Aktion gesehen hat, wird für die vergleichsweise lethargischen Zeitlupenbewegungen heutiger Love Parades nur Mitleid empfinden. Die Tanzmusik kam aus New Orleans, aber einer ihrer größten Revolutionäre lebte in Paris. Der Gitarrist Django Reinhardt, geboren 1910 in Belgien, hatte beim Brand seines Wohnwagens schon im Alter von 18 Jahren mehrere Finger eingebüßt. Fortan spielte er die Klampfe mit einer verkrüppelten Hand – und erfand dabei einen so eigentümlichen Stil, dass er als einer der Väter des Jazz weltberühmt wurde. Seine Musik wird dem Zigeunerjazz zugerechnet, denn er gehörte der Volksgruppe der Manouche an, französischsprachiger Sinti. Seine Berühmtheit bewahrte ihn während der Besetzung durch die Nationalsozialisten vor dem Konzentrationslager – angeblich, weil selbst Nazis gerne zu seiner Musik wippten.

Die winzige Swingdiele ist ein neues Café in Charlottenburg (Knesebeckstr. 12, Eingang Goethestr.) , das zum Charmantesten gehört, das die Stadt in jüngster Zeit hervorgebracht hat. Hier wird seit einigen Wochen die Tradition des Tanztees wiederbelebt. Wer weder Jitterbug noch Swing noch Lindyhop kann, sitzt an einem der zierlichen Tischchen unter Stuck, staunt über die Tänzer und über den einzigartigen Schokoladenkirschkuchen. Wenn das Premier Swingtett , das sich aus Musikern von Max Raabes Palastorchester zusammensetzt, heute (11.8.) um 19.30 Uhr aufspielt, dann wird nicht nur an Django Reinhardts Zigeunerjazz erinnert. Es wird auch in bester Tradition Prohibition herrschen. Mangels Konzession müssen die Tänzer in der Swingdiele ihren Durst mit Bluna oder Fassbrause bekämpfen. Ob aber manche Swing-Kids ihre heiße Schokolade mit einem Schuss Rum aus dem Silberflachmann veredeln – das lässt sich ebenso schwer beweisen wie damals in Harlem.

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