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SCHREIB Waren: Gut Ding will Preise haben

Steffen Richter über die Erfindung des literarischen Betriebs

Im Abendlicht des Gutenberg-Zeitalters, das scheint beschlossene Sache, wird die Lektüre schöngeistiger Schriften zur Angelegenheit kleiner Kreise Eingeweihter. In einem Monat aber beim Klagenfurter Bachmannpreis drei Tage lang Dichterlesungen live im Massenmedium Fernsehen zu erleben – man muss sich fragen: Widerlegt oder bestätigt eine solche Veranstaltung das kulturkritische Lamento?

Schuld an Dingen wie Klagenfurt, meinte vor Jahresfrist der Bestseller-Autor Daniel Kehlmann, sei vor allem die Gruppe 47. Jenes literarische Nachkriegsbündnis also, das mit seinen Treffen, Lesungen und Preisverleihungen den deutschen Literaturbetrieb erfunden hat. Tatsächlich rettete der Bachmannpreis-Mitinitiator Marcel Reich-Ranicki seinerzeit viele Gepflogenheiten der Gruppe 47 nach Klagenfurt hinüber. Dazu gehören die Sofort-Kritik und der Usus, dass der Autor seinen Kritikern nicht antwortet. Dabei lässt sich weder übersehen, dass die Kritik meist ein beachtliches Niveau hält, noch dass einige Kritiker vor Fernsehkameras zu großer medialer Form auflaufen. Das Literaturbetriebliche, würden Verfechter der reinen ästhetischen Lehre sagen, überwiegt das Literarische. Nur verdanken Literaten und Literatur diesem Betrieb Stipendien, Preise, Lesehonorare und Aufmerksamkeit. Er sorgt dafür, dass – ökonomisch gesprochen – das Produkt Literatur recht gut „aufgestellt“ ist und weit weniger Subventionen verschlingt als etwa das Theater. Diese Dimension dürfte – neben der anhaltenden Skandalträchtigkeit alternder Protagonisten der Gruppe 47 – eine Rolle spielen, wenn sich Verleger, Kritiker und Autoren wie Michael Krüger, Iris Radisch und Dieter Wellershoff am 30.5. (20 Uhr) über den Mythos der 47er unterhalten. Dann gastiert der Bachmann-Wettbewerb in der Literaturwerkstatt (Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, Prenzlauer Berg). Just an jenem Ort, der mit dem „Open Mike“ eine wegen der transparenteren Auswahl der Kandidaten sympathische Konkurrenzveranstaltung zu Klagenfurt betreibt.

Ob es mit dem „Lesezirkus“ (Kehlmann) wirklich so schlimm ist, lässt sich bei der 10. Literaturwoche im Prenzlauer Berg überprüfen. Am 2.6. lesen die Nominierten für den Literaturpreis Prenzlauer Berg (16 Uhr), anschließend wird der Preis vergeben (20 Uhr, Prenzlauer Allee 227/228). Am 3.6. (11-19 Uhr) kommen Schriftsteller wie Jakob Hein, Julia Franck und Steffen Mensching zum Literaturfest am Kollwitzplatz, und bis zum 13.6. gibt es tägliche Veranstaltungen mit Verlagen wie Matthes & Seitz oder Kookbooks und Autoren wie Katharina Hacker oder Antje Rávic Strubel.

Wunderliche Literaturbetriebsausflüge müssen die Schiffsreisen gewesen sein, die polnische, deutsche und niederländische Autoren im Jahr 2004 auf Oder und Rhein unternahmen. „Grenzen im Fluss“ heißt das Ergebnis, eine Anthologie, die am 31.5. (20 Uhr) im Literaturhaus (Fasanenstr. 23, Charlottenburg) vorgestellt wird. Wenigstens war kein Fernsehteam dabei.

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