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SCHREIB Waren: Ostlegenden, Westbesucher

Andreas Schäfer über innere Größe im Angesicht der Mauer

Man traf sich auf einem Suhrkamp-Empfang: Uwe Johnson, seit Ende der fünfziger Jahre im Westen, und Thomas Brasch, der nach der Biermann-Ausbürgerung gerade übergesiedelt war. Brasch – sein Erfolg mit „Vor den Vätern sterben die Söhne“ stand kurz bevor – muss verwirrt gewirkt haben, denn Uwe Johnson gab ihm gleich einen Rat: „Ich war in einer ähnlichen Situation wie Sie. Die einzige Möglichkeit in so einer Situation ist es, sein schriftstellerisches Talent nicht in einem lächerlichen Kampf für oder gegen die DDR verbrauchen zu lassen.“ Leichter gesagt als getan, denn kaum hatte Brasch den Osten verlassen, hatte ihm Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld einen Vorschuss von 100 000 DM geboten, wenn Brasch ein Buch über die Wochen vor und nach dem Grenzübertritt schriebe. Der heiße Mauerbericht fiel aber flach. Brasch lehnte es ab, „die eigene Biographie auf das schnellste für einen Text auszunutzen, der einem rein journalistischen Verfahren folgt“, wie man es jetzt in dem großartigen Band „Ich merke mich nur im Chaos“ nachlesen kann. Dienstag erscheint er (Suhrkamp) und enthält Interviews mit Thomas Brasch von 1976 bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2001.

Andere haben keine Scheu vor dem journalistischen Blick auf die eigene Biografie. Anlässlich des zwanzigjährigen Mauerfalljubiläums spülen die Verlage gerade zahlreiche Bücher zum Thema in die Buchhandlungen. Julia Franck und Renatus Deckert fragen Schriftstellerkollegen nach ihren Erinnerungen. Jens Sparschuh tauscht mit Sten Nadolny Anekdoten über Militärerfahrungen aus, und Susanne Schädlich schreibt ihre Familiengeschichte. Eines der interessantesten Ost- West-Bücher stammt von der Journalistin Jutta Voigt und heißt „Westbesuch“, in dem es um liebevolles Verstricktsein von Ost- und Westlern geht – vor 1989. Der Ostler, so Voigt, idealisierte den Westler als Missionar einer „schöneren Welt“. Und der Westler fand es gar nicht schlecht, so betrachtet zu werden. Inwiefern die Mauer, „dieses mörderische Verhängnis deutscher Geschichte“, auch Anlass zu „innerer Größe“ bot, davon berichtet Jutta Voigt am Dienstag um 19 Uhr in der Kulturbrauerei (Knaackstraße 97).

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