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SCHREIB Waren: Auf schwankendem Untergrund

Lange ähnelte das Westberlin der 80er Jahre den versunkenen Inseln Atlantis und Vineta: vergangen und nur noch in Legenden präsent. Und plötzlich feiert dieser mythische Ort seine mediale Wiederauferstehung.

Lange ähnelte das Westberlin der 80er Jahre den versunkenen Inseln Atlantis und Vineta: vergangen und nur noch in Legenden präsent. Und plötzlich feiert dieser mythische Ort seine mediale Wiederauferstehung. Zu verdanken ist das neben David Bowies musikalischen Reminiszenzen an seine Zeit in der Mauerstadt vor allem Wolfgang Müllers fulminantem Buch „Subkultur Westberlin 1979 bis 89. Freizeit“. Müller gründete 1980 das Kunst- und Musikprojekt „Die tödliche Doris“ mit und wurde zu einem der prominentesten Protagonisten der Westberliner Subkultur. Sein Buch liest sich entsprechend als ein einziges Who’s who der damaligen Szene, aber auch als imaginärer Reiseführer durch die stilprägenden Locations und Events der Zeit. Schön auch, dass Müller nicht nur den geschlossenen Kosmos Westberlins rekonstruiert, sondern auch verfolgt, was aus Personen, Stilen und Impulsen nach 1989 wurde. Am Mittwoch wird das Buch präsentiert (18 Uhr, Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a).

Als Ergänzungslektüre bietet sich Klaus Bittermanns Buch „Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen“ an. Wer einem da im Graefe-Kiez so alles über den Weg läuft! Touris und Obdachlose, Straßenmusiker und Sonderlinge, Alkoholiker und Anwohner mit all ihren Schrullitäten. Der Gentrifizierung, so die beruhigende Message, seien Grenzen gesetzt, denn die „Randfiguren, aus denen dieser Stadtteil fast ausschließlich zu bestehen scheint, halten sich hartnäckig“ – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt (Lesung am Donnerstag, 20 Uhr, Dorotheenstädtische Buchhandlung, Turmstr. 5).

„Wer in Berlin am Boden kratzt, stößt auf sehr wenig: auf fossile Fauna und Flora, vereinzelte vorgeschichtliche Artefakte, bronzezeitliches Handwerkszeug. Überwiegend aber stößt er auf keinen Widerstand; er sackt ein, versinkt, versandet.“ Im Jahr 2010 analysierte Hanns Zischler geologische Bedingungen, die anstelle innerstädtischer Verdichtung zu uferlosen Ausdehnungen führten. In „Berlin ist zu groß für Berlin“ erkundet er nun die Stadt auf den Spuren des Geografen Friedrich Leyden, der Dichterin Gertrud Kolmar und des Passfälschers Oskar Huth. Vielleicht erklärt die Geologie auch ein Kontinuum des Berliner Nachtlebens, das die 80er mit der Jetztzeit verbindet: das widerstandslose Versacken am Tresen (Buchpremiere am Sonntag, 11 Uhr, Cinema Paris, Kurfürstendamm 211).

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