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SCHREIB Waren: Das Geld des Überlebenden

Wer oder was bin ich? Wie der 1943 in Budapest geborene und seit Mitte der achtziger Jahre in Berlin lebende ungarische Schriftsteller und Essayist György Dalos im ersten seiner autobiografischen Romane „Die Beschneidung“ schreibt, bekam er als kleiner Junge in dieser Frage von seiner Großmutter einen Tipp: „Wenn dich jemand nach deiner Abstammung fragt oder nach deinem Glauben, dann antworte ruhig: Ich bin ungarisch-jüdischer Kommunist, damit liegst du auf jeden Fall richtig.

Wer oder was bin ich? Wie der 1943 in Budapest geborene und seit Mitte der achtziger Jahre in Berlin lebende ungarische Schriftsteller und Essayist György Dalos im ersten seiner autobiografischen Romane „Die Beschneidung“ schreibt, bekam er als kleiner Junge in dieser Frage von seiner Großmutter einen Tipp: „Wenn dich jemand nach deiner Abstammung fragt oder nach deinem Glauben, dann antworte ruhig: Ich bin ungarisch-jüdischer Kommunist, damit liegst du auf jeden Fall richtig.“ Der Junge war erst mal beruhigt, hat sich aber als Erwachsener offenbar nicht mehr ganz an die Vorgaben halten wollen. Den Ungarn war Dalos bald zu wenig ungarisch, den Kommunisten zu wenig kommunistisch und den Nichtjuden zu jüdisch. Stattdessen machte Dalos einen Schritt aus den Identifizierungen hinaus und wurde, wie von Saalfeld glücklich formuliert, ein „feinnsinnig-ironischer Beobachter der politischen Verrücktheiten in der Mitte Europas“.

György Dalos ist der, der uns seit Jahrzehnten Ungarn näher bringt. Er schrieb über den Ungarnaufstand von 1956, die Entstehung der ungarischen Opposition und in „Proletarier aller Länder, entschuldigt mich“ über den Ostblockwitz. Nach einem Buch über das Ende der Diktaturen in Osteuropa und einer Gorbatschow-Biografie hat Dalos nun nach längerer Zeit wieder einen Roman veröffentlicht, einen, der erneut das Was-bin-ich-Thema aufnimmt und dabei die Rolle als Sohn in den Vordergrund rückt. „Der Fall des Ökonomen“ (Rotbuch) erzählt von Gábor Kolozs, Dissident, erfolgloser NachWende-Funktionär und Sohn eines Holocaustüberlebenden, der vom Leben seines Vaters so gut wie nichts weiß. Nach dessen Tod und dem drohenden Wegfall der Opferrente hat der mittellose Gábor keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Also verschweigt er das Ableben des Vaters und kassiert statt seiner die Wiedergutmachung.

Als der 100. Geburtstag des „letzten Überlebenden“ sich nähert, der groß gefeiert werden soll, droht der Schwindel aufzufliegen. 50 Jahre ungarische Nachkriegsgeschichte flicht György Dalos in diese Lebensbilanz, die sich ironisch an der Frage reibt, wie man vom Objekt zum Subjekt des eigenen Lebens wird. Am 4. April liest György Dalos um 20 Uhr im Literaturhaus (Fasanenstraße 23).

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