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Kultur: Schriftsteller Broch: Der Weiterdenker

Mit dem Nachruhm ist es so eine Sache: Je stärker die Genialität eines Schriftstellers von seinen Kollegen beschworen wird, desto wahrscheinlicher mangelt es an Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. Als am 30.

Mit dem Nachruhm ist es so eine Sache: Je stärker die Genialität eines Schriftstellers von seinen Kollegen beschworen wird, desto wahrscheinlicher mangelt es an Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. Als am 30. Mai diesen Jahres der 50. Todestag von Hermann Broch anstand, haben sich die meisten Feuilletons mit Huldigungen vornehm zurückgehalten. Die Größe Brochs scheint sich nur einem kleinen Zirkel von Eingeweihten zu eröffnen. Darin allerdings wächst die Verehrung proportional zum öffentlichen Desinteresse. Vornehmlich sind es Schriftsteller - von Milan Kundera bis Susan Sontag - die auch heute Brochs Aktualität und Einfluss betonen.

Seine beiden Hauptwerke, "Die Schlafwandler" und "Der Tod des Vergil", haben längst Eingang in den ominösen literarischen Kanon gefunden. Eingereiht zwischen Musils "Mann ohne Eigenschaften", Döblins "Berlin Alexanderplatz" und Thomas Manns "Dr. Faustus" stehen sie in ihrer Komplexität und zeitdiagnostischen Präzision als Epochenwerke einzigartig da.

Aber im kollektiven Gedächtnis der Leser sind Brochs Texte vielleicht gerade wegen ihrer Vielschichtigkeit und spröden Sperrigkeit nicht sonderlich präsent. Massenappeal wie sein Generationsgenosse Thomas Mann, der sich für Broch bei dessen Emigration in die USA einsetzte, hatte der Österreicher hierzulande nie. Und den Nobelpreis, für den ihn Schriftstellerkollegen ein Jahr vor seinem Tod vorgeschlagen hatten, sollte er ebenfalls nie in Händen halten. Der Prophet zählte im eigenen Sprachraum nicht viel.

Erste Impulse zu einer breiteren Rezeption gingen stattdessen nach seinem Tod von den USA und England aus. Dort hatte Broch schon früh Beachtung gefunden: Kollegen wie Aldous Huxley oder Thornton Wilder trommelten für ihn, berichtet Broch-Herausgeber Paul Michael Lützeler im "Marbacher Magazin 94". Nach Amerika emigrierte Europäer besorgten die erste Ausgabe der Werke in den 50-er Jahren. Seine engen Beziehungen zu Schriftstellerkollegen halfen ihm immer wieder, schwierige Zeiten zu bewältigen; und auch Brochs Hilfsbereitschaft war grenzenlos.

Er hatte ein verlässliches Netzwerk an Freunden, darunter berühmte Zeitgenossen, mit denen er ausführlich korrespondierte. Briefe von und an Franz Blei, Alban Berg, Stefan Zweig, Robert Musil, Berthold Viertel, Ernst Bloch, Elisabeth Langgässer oder Thomas Mann zeugen davon. Zu sehen sind einige dieser Briefe und diverse weitere Dokumente von literaturhistorischem Wert in einer Ausstellung, die sich vor allem mit dem (Haupt-)Werk Hermann Brochs beschäftigt: Wer war dieser mit avantgardistischen Mitteln hantierende, politische, viel gerühmte und kaum gelesene Autor? Wie und aus welchen Bedingungen heraus hat sich sein Werk entwickelt, das neben den Romanen etliche Essays, aber auch Dramen und Lyrik beinhaltet?

Das Spinnen hat er gelernt

Auf diese Fragen antwortet die Schau des Marbacher Schiller-Nationalmuseums, die von Paul Michael Lützeler konzipiert wurde und in den kommenden Wochen im Literaturhaus Berlin Station macht. Der Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten, am 1. November 1886 in Wien geboren, absolviert ein Studium zum Textilingenieur - nicht gerade eine Berufung, mehr eine Konzession an das Elternhaus. Er leitet anschließend die Spinnfabrik "Teesdorf" in der Nähe von Wien, die sein Vater eigens für ihn erworben hatte.

Seine wirklichen Interessen verschieben sich allerdings immer mehr in eine andere Richtung: Seit 1909 - dem Jahr seines Übertritts zum Katholizismus und der Heirat mit Franziska von Rothermund - verfasst er erste, von Karl Kraus beeinflusste, kulturkritische Aufsätze. 1913 erscheinen literarische Besprechungen in der Innsbrucker Kulturzeitschrift "Der Brenner". Broch wird durch Franz Blei in die Wiener Kaffeehaus- und Literatenszene eingeführt, macht die Bekanntschaft von Schriftstellern und Künstlern, verliebt sich in die Journalistin Eva von Allesch, hat Affären und lernt nach und nach das Dasein als schreibender Bohèmien zu schätzen; er beschäftigt sich eingehend mit der Werttheorie, was sich dann in den "Schlafwandlern" niederschlägt, nimmt in den 20er Jahren ein Studium der Philosophie und Mathematik auf und entfernt sich immer weiter vom elterlich vorgezeichneten Weg. 1927 verkauft er die Fabrik. Es beginnt für ihn das unstete und finanziell desaströse Leben eines freien Autors.

Gespaltene Individuen

1932 erscheinen "Die Schlafwandler", ein großer Erfolg bei der Kritik. Das Werk zeichnet den Untergang des bürgerlichen Zeitalters nach. Die Grunderfahrung eines elementaren Bruchs, die Brochs Generation nur zu gut kannte, wird an drei repräsentativen Figuren bis zum Ersten Weltkrieg durchexerziert. Die individuelle verknüpft sich dabei mit der gesellschaftlichen Ebene: "es ist eine Zerspaltung des Gesamtlebens und -Erlebens, die viel tiefer reicht als eine Scheidung nach Einzelindividuen, eine Zerspaltung, die in das Einzelindividuum und in seine einheitliche Wirklichkeit selber hinablangt", heißt es in dem von Max Weber inspirierten Essay "Zerfall der Werte", der in die "Schlafwandler" eingewoben ist.

Nach dem Anschluss Österreichs und einer vorübergehenden Verhaftung durch die Nazis emigriert Broch 1938 zunächst nach England, später in die USA. Seine Arbeit gewinnt, wie sich anhand der insgesamt 15 Vitrinen verfolgen lässt, neben der zeitphilosophischen eine immer deutlicher werdende politische Dimension. Mit seinem viel jüngeren Freund Elias Canetti entstand in den 30er Jahren der Plan, das Phänomen des Massenwahns wissenschaftlich zu untersuchen, eine Arbeit, die er in den USA intensiv fortsetzt; Broch beschäftigt sich mit Menschenrechtstheorien und beteiligt sich an einem politischen Buch, das die demokratische Entwicklung der Welt nach Kriegsende im Auge hat: "The City of Man". Der Exilroman "Der Tod des Vergil" durchläuft etliche Fassungen. Durch Zuspruch von Freunden erhält Broch immer wieder Stipendien, ohne die es um eine Weiterarbeit düster bestellt wäre. Stefan Zweig erkannte in einem handschriftlich verfassten Gutachten, das Buch gehöre "in keine Kategorie, weil es sie alle in einer grossartigen dichterischen Synthese verbindet - Erzählung, Lyrik, Philosophie, Historie, psychologische Beobachtung, cultureller Ausblick."

Diese Analyse ließe sich auf Brochs gesamtes Werk ausdehnen: Das Überschreiten klassischer Genre-Grenzen, ein Hinausweisen über die Moderne, das Verknüpfen von Erzählerischem und Reflektorischem ist - ähnlich und ganz anders als bei Robert Musil - kennzeichnend für Hermann Broch. Die Ausstellung versucht das Charakteristische seines Schaffens mit sympathischem philologischem Ernst herauszustellen: Briefe, Textentwürfe, Erstausgaben, Verträge, einige Fotografien stellen eine konzentrierte Auswahl dar, die beim Durchwandern der Vitrinengänge auch vom Betrachter Konzentration erfordert.

Die Ausstellungsmacher kommen nicht in den Verdacht, aus dem literarischen Porträt ein Event zu machen: Mit Reliquien des Dichters oder multimedialen Inszenierungen wird man jedenfalls nicht gelockt. Aus Brochs letzten Lebensjahren stammt eine Fotoserie seiner Freundin und späteren zweiten Frau Annemarie Meier-Graefe (der Briefwechsel Broch/Meier-Graefe erschien im Frühjahr bei Suhrkamp): Wegen einer gebrochenen Hüfte musste sich Broch neun Monate lang im Princeton Hospital in New York aufhalten. Die Bilder zeigen einen denkenden, telefonierenden, Pfeife rauchenden, an der Schreibmaschine sitzenden, in seine Tätigkeit versunkenen Geistesmenschen - er habe die Arbeit "atlas-gleich auf seinen Schultern" getragen, bemerkte die befreundete Hannah Arendt einmal.

Noch in fortgeschrittenem Alter musste er bis an die Grenzen der Belastbarkeit gehen, um sich finanziell über Wasser zu halten. Während des Krankenhausaufenthalts entstand eine Studie über "Hofmannsthal und seine Zeit". Die Zeit ist das Fin de Siècle, und wie Hugo von Hofmannsthal war auch Broch, der freilich einem später verschwundenen Bürgertum entstammte, Wiener. Als Broch 1950 für den Literaturnobelpreis vorwird, schreibt Paul Michael Lützeler, habe das Nobelpreis-Komitee die Akademie der Wissenschaften in Wien um Gutachten und Informationen zum mittlerweile angesehenen Sohn der Stadt gebeten. Die Mitteilung fiel knapp aus: "Sie lautete dahingehend, dass ein Dichter mit dem Namen Hermann Broch in Wien nicht bekannt sei."

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