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Rudolf Lorenzen im Jahr 2007.

© Thilo Rückeis

Schriftsteller Rudolf Lorenzen gestorben: Grauen, Glamour und Groteske

Rudolf Lorenzen war ein Einzelgänger - das hat ihm wahrscheinlich das ein oder andere mal das Leben gerettet. Nun ist der Schriftsteller im Alter von 91 Jahren verstorben.

Er war ein Einzelgänger, das hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. In seinem Roman „Alles andere als ein Held“ erzählt Rudolf Lorenzen, wie er den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Robert Mohwinkel, so heißt der Antiheld des Buches, weiß, dass es in vermeintlich heroischen Zeiten wichtig ist, sich rechtzeitig wegzuducken. Nach einem Lazarettaufenthalt treibt er sich wochenlang im Hinterland der Front herum. Als der Gefechtslärm näher kommt, springt er in einen Graben und lässt sich von der Roten Armee überrollen. Mit erhobenen Armen läuft er einer Feldküche entgegen. „Der Koch winkte Robert zu sich heran, bedachte ihn mit einigen bellend ausgestoßenen Schimpfwörtern und fasste ihn an das linke Handgelenk, wo er eine Armbanduhr vermutete. Als er Roberts Uhr gefunden, die Schnalle sorgfältig gelöst und das Ticken am Ohr kontrolliert hatte, hellte sich sein Gesicht auf.“

„Alles andere als ein Held“ ist ein hinreißender Schelmenroman, bei dem das Grauen in die Groteske übergeht. Als er 1959 herauskam, ging er beinahe unter, weil kurz zuvor die „Blechtrommel“ von Günter Grass erschienen war. In Robert Mohwinkel lassen sich unschwer die Züge des Autors erkennen. In einer Zeit, in der die „Volksgemeinschaft“ beschworen wird, beharrt er darauf, ein Individuum zu sein. Mohwinkel geht lieber zum Tanztee als zum HJ-Appell und findet in den Synkopen der Swingmusik die Gegenwelt zum Marschtritt der Wehrmacht. Sebastian Haffner lobte, das Buch sei „vielleicht der beste Roman irgendeines heute lebenden deutsch schreibenden Autors“. 2007 kam eine Neuausgabe heraus, als Auftakt einer umfassenden Werkschau im Verbrecher-Verlag.

Rudolf Lorenzen, 1922 in Lübeck geboren, wuchs in Bremen auf, absolvierte eine Ausbildung zum Schiffsmakler und arbeitete nach dem Krieg als Werbetexter in der bayrischen Provinz, worüber er später den satirischen Roman „Die Beutelschneider“ veröffentlichte. Seit 1955 lebte er als freier Autor in Berlin. Eine Einladung zur Gruppe 47 schlug er aus. Er habe sich, erzählte er später, nie als Schriftsteller gefühlt, „dafür bin ich nicht gebildet genug“. Lorenzen schrieb Kurzgeschichten für Zeitungen – darunter auch den „Tagesspiegel“ –, wurde Kulturkorrespondent der Züricher „Weltwoche“ und setzte als „Boulevardier“ mit Glossen aus dem Großstadtgetriebe im Berliner „Abend“ die Tradition des Flaneur-Journalismus fort. Daneben lieferte er Hörspiele und Drehbücher für Fernseh- und Kinofilme. Mit der Autorin Annemarie Weber, mit der er bis 1968 verheiratet war, stieg er zum Glamourpaar des West-Berliner Nachkriegsjournalismus auf.

Lorenzen war ein Jazzfan, in seiner Altbauwohnung in der Nähe des Tauentziens hütete er eine große Sammlung von Schellack-Platten. „Rhythmen, die die Welt bewegten“, nannte er sein Buch über halb vergessene Spielarten der Populärmusik von Polka über Cakewalk bis zum Boogie Woogie. Mit seiner Musikalität und seinem Witz zählte er zu den Ausnahmeerscheinungen der deutschen Literatur. Rudolf Lorenzen ist, wie sein Verlag mitteilte, am Mittwoch gestorben. Er wurde 91 Jahre alt.

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