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Kultur: Schriftzeichen am Boden

Preis der Nationalgalerie für junge Kunst: Die Kandidaten stellen im Hamburger Bahnhof aus.

Simon Denny kann gar nicht so schnell arbeiten, wie sein Thema zerfällt. „All You Need Is Data“ hieß es 2012 auf einem Kongress in München, der die Hautevolee der digitalen Gesellschaft versammelte. Ein Jahr später klingt der Titel jener Arbeit, die der in Berlin lebende Künstler just im Hamburger Bahnhof installiert hat, wie ein Slogan für das come together globaler Datenspäher: Whistleblower Edward Snowden hat die Netz-Euphoriker wissen lassen, dass auf ihren Autobahnen immer einer mitfährt.

So wirkt Dennys aus knapp hundert Schautafeln bestehendes Werk schon ein Jahr nach seiner Entstehung wie ein Relikt aus einer anderen, unschuldigen Zeit. Fast noch mehr verwundert allerdings, dass der 1982 in Auckland Geborene damit für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst kandidiert. War es bislang nicht Bedingung, dass alle vier Nominierten eine nagelneue Arbeit abliefern? Wer ab heute zur Wettstreit-Ausstellung in Berlins Museum für Gegenwart geht, der reibt sich verwundert die Augen. Denn auch Kerstin Brätsch ist mit gemalten Großformaten der Reihe „Psychic Series“ (2005–2008) vertreten, die wie Dennys Beitrag schon anderswo zu sehen waren.

Die Neuerung markiert aber bloß eine sichtbare Veränderung des Preises. Seine Erfinder, die Freunde der Nationalgalerie und Museumsdirektor Udo Kittelmann, haben ihn einmal vom Kopf auf die Füße gestellt. Er wird nun nicht mehr allein für die aktuelle Produktion vergeben, sondern mit Blick auf das Gesamtwerk des jeweiligen Künstlers, der weiterhin unter 40 sein und in Deutschland leben muss. Es gibt auch kein Preisgeld mehr. Stattdessen wird der Ausgezeichnete mit einer Einzelausstellung der Nationalgalerie belohnt und so vom Museum noch eine ganze Zeit lang begleitet.

Joachim Jäger widerspricht als verantwortlicher Kurator denn auch gleich jedem Verdacht, man wolle sich das Preisgeld sparen. Erfahrungsgemäß sei eine Einzelschau mit Katalog und Produktionskostenhilfe für neue Werke im Gegenteil sogar teurer als jene 50 000 Euro, für die man „heute auf dem explodierenden Markt kaum noch etwas von Künstlern“bekäme. Jedenfalls nicht von solchen, die bereits so renommiert sind wie die aktuellen Anwärter.

Um eine Ehrung für Unbekannte ging es beim Preis der Nationalgalerie ja nie. So versammelt Kandidatin Nummer drei, Haris Epaminonda, Ausstellungen im Kunsthaus Zürich (2013), dem Museum of Modern Art in New York (2011) oder der Londoner Tate Modern (2010) in ihrer Biografie. In Zürich hat sie schon jene filmische Installation gezeigt, die nun im Hamburger Bahnhof läuft. Eine poetische Geschichte über zwei Menschen, die nicht zueinanderfinden. Und eine sinnliche Parabel über ihre entzweite Heimat Zypern. Der Blick zurück spielt schließlich auch für die gebürtige Mexikanerin Mariana Castillo Deball eine wichtige Rolle. Ihre Bodenarbeit zeigt eine historische Karte, mit deren Hilfe sich die europäischen Eroberer ein Bild von jenem Land machten, das sie zu kolonialisieren gedachten. Ein Teil der von ihnen verwendeten Schriftzeichen aber entstammt der südamerikanischen Kultur. Solchen kulturellen Überlagerungen spüren alle vier Kandidaten nach. Wer von ihnen damit das Rennen macht, wird am 19. September verkündet – zusammen mit dem Preisträger der Nationalgalerie für junge Filmkunst, den die Jury seit 2011 ebenfalls vergibt.Christiane Meixner

Hamburger Bahnhof, bis 12.1.2014

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