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Kultur: Schüsse auf den Kritiker

Frauen und andere Rätsel: Volker Schlöndorff inszeniert am Renaissance-Theater den Boulevard-Hit „Enigma“ mit Mario Adorf

Irgendwann ist dem alternden Großschriftsteller und Nobelpreisträger, der zurückgezogen auf einer nordnorwegischen Insel lebt, der Kragen geplatzt: „Jeder schwachsinnige Gehirnamputierte würde mir die gleiche Frage stellen wie Sie.“ Und weiter: „Durch das ständige Wiederkäuen von Ereignissen in euren Blättchen, durch das ständige Abschreiben, Wiederabschreiben, Berichten, Wiederberichten seid ihr zu Krüppeln geworden.“ Er herrscht einen Journalisten an, der ihn für ein Interview besucht. Der packt beleidigt seine Sachen, will gehen, bleibt dann doch. Später fallen Schüsse.

Auf einen Kritiker geschossen hat Volker Schlöndorff, Filmregisseur und Oscarpreisträger, noch nie. Welche zur Tür begleitet, allerdings schon. Vor allem, wenn sich Leute – so die Situation in Eric-Emmanuel Schmitts Zweipersonenstück „Enigma“ – nur unter dem Vorwand eines Interviews bei ihm einschleichen. „Da kam einmal eine, die konnte noch nicht einmal ihr Aufnahmegerät bedienen. Die war gar keine Journalistin. Die habe ich dann vor die Tür gesetzt.“ Die Besucherin war die Filmregisseurin Margarethe von Trotta, die den Kontakt zu Schlöndorff suchte. Später wurde sie seine Frau. „Seitdem bin ich sehr nachsichtig gegenüber Journalisten“, gesteht der Mann.

Es ist ein kalter, schneefeuchter Märznachmittag. Im Renaissance-Theater wird die Bühne aufgebaut, abends soll dort die erste Probe sein. Volker Schlöndorff sitzt beim Italiener um die Ecke, wirkt ein wenig müde. Spricht mit leiser Stimme, aber dafür umso mehr, hört gar nicht mehr auf. Die 56. Oscar-Verleihung in der Nacht von Sonntag auf Montag hat er sich nicht angesehen, die Zusammenfassung hat ihm gereicht. Mit dem Großkino wie „Der Herr der Ringe“ kann er nichts anfangen. Und doch hätte er einen Grund gehabt: 1980, genau vor 24 Jahren, gewann Volker Schlöndorff mit seinem Film „Die Blechtrommel“ den Oscar für den besten fremdsprachigen Film – das erste Mal, dass überhaupt ein deutscher Film ausgezeichnet wurde. Damals spielte Mario Adorf Alfred Matzerath, den Vater des kleinen Oskar. Nun hat er die Hauptrolle in „Enigma“ übernommen.

Der Großschauspieler spielt den Großschriftsteller, der Großregisseur inszeniert das Stück: Daneben zu Wort zu kommen, ist gar nicht so einfach. Justus von Dohnanyi, der die Rolle des Journalisten übernommen hat, ist, so Schlöndorff, auch eher ein feiner, ruhiger Mensch, noch etwas bubenhaft. Aufgefallen war er Schlöndorff in dem Film „September“ von Max Färberböck, wo von Dohnanyi einen aalglatten Bänker spielt, dem nach dem 11. September sein Leben und vor allem seine Frau abhanden kommen.

Um eine Frau geht es auch in Eric-Emmanuel Schmitts weltweit gefeierter Boulevard-Komödie. Besser gesagt, um ein Frauenrätsel. Das Titel gebende Enigma, von Schmitt auf Elgars Musikvariationen bezogen, wollen auch Schlöndorff und Adorf nicht lösen: Gerade haben sie zusammengesessen, beim Mittagstisch und darüber debattiert, wie diese unbekannte Frau, zu der sowohl der Schriftsteller als auch der Journalist eine besondere Beziehung haben, wohl aussehen möge. Entschieden haben sie sich für eine „üppige Picasso-Dame“: einfach als Irreführung. Von Frauen macht sich doch jeder ein anderes Bild. „Wenn einem ein Freund vorschwärmt, er habe die Frau seines Lebens gefunden, und dann trifft man sie, wundert man sich oft: Das soll die Traumfrau sein?“ extemporiert Schlöndorff. Und fügt, fast entschuldigend, hinzu: „Männer sind da viel leichter zu beschreiben.“ Cherchez la femme, das ist das Thema des Stücks.

Das klingt nach Boulevard – und so soll es auch sein, wenn es nach Schlöndorff geht: Leichtigkeit, Eleganz, Schnelligkeit sind Vokabeln, mit denen er das Stück beschreibt. Allerdings Boulevard mit Fußangeln: Denn fasziniert habe ihn an „Enigma“ vor allem das Thema Einsamkeit, die Einsamkeit des alternden Künstlers. Die Vorstellung, dass da ein Schriftsteller am Schreibtisch sitzt, drei, vier Jahre lang, und an seinem Buch schreibt: „Ich könnte das nicht. Ich hätte immer das Gefühl, da draußen vor dem Fenster geht das Leben vorbei.“ Und natürlich, hat ihm Günter Grass einmal bestätigt, ist das auch so: Das Leben da draußen geht vorbei. Ein ernstes Thema für eine Boulevardkomödie, auch Schlöndorff fürchtet, dass das Stück zu viel Tiefgang hat: „Es gibt die Gefahr, dass daraus plötzlich so ein Ibsen/Strindberg wird.“ Für Komödien ist Volker Schlöndorff noch nie bekannt gewesen.

Für Theater-Inszenierungen auch nicht. Schlöndorffs Arbeiten jenseits des Films waren bislang vor allem Operninszenierungen, die ganz große Bühne, wie an der Bismarckstraße, mit Orchester, Chor und 90 Mitwirkenden, „das hat mit Film dann nicht mehr viel zu tun.“ „Enigma“ jedoch ist ein Kammerspiel, ein Zweipersonenstück, auf einen einzigen Raum, auf eine knappe Stunde beschränkt. Ein „Stück in Großaufnahme“ nennt es Schlöndorff, in dem es nur auf die Zwischentöne ankomme, darauf, wie sich zwei Leute miteinander auf der Bühne bewegen, wann sie sich anschauen, wann sie sich nicht anschauen, wann sie sich den Rücken zukehren, welchen Satz sie sich ins Gesicht sagen und wann sie sich anschweigen: „Das sind dieselben Regeln wie beim Film.“

Das klingt nach einem Heimatverlust. Und richtig: Volker Schlöndorff ist desillusioniert, wenn er über die Bedingungen der Filmarbeit in Deutschland spricht. „Es ist unmöglich, hier noch einen anspruchsvollen Film zu machen. Und ehe ich den Herz und Schmerz im Fernsehen bediene, arbeite ich lieber am Theater oder an der Oper.“ Obwohl: Gerade hat er seinen jüngsten Film abgedreht, „Der neunte Tag“, die Geschichte eines katholischen Priesters in Dachau. Ein Glücksfall, so Schlöndorff, ein kleiner Film mit großen Stars, mit Ulrich Matthes und August Diehl, den er hofft noch ins Kino zu bekommen, bevor im Herbst die Großoffensive mit Bernd Eichingers Verfilmung von Joachim Fests „Der Untergang“ anrollt, die letzten Tage des Dritten Reichs. Auch da spielt Ulrich Matthes mit. Aber keinen katholischen Priester, sondern den Propagandaminister Joseph Goebbels.

„Enigma“ hat am 11. März Premiere im Renaissance-Theater. Voraufführungen: 7., 8., 9. und 10. März

Christina Tilmann

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