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Kultur: Schwarzer Trichter, bunte Lämpchen

Alte Weisen für eine neue Welt: Manfred Karges Hanns-Eisler-Revue im Berliner Ensemble

Es sind die alten Weisen, die neu in uns entstehen – so beginnt eines der „Neuen Deutschen Volkslieder“, die Johannes R. Becher im ersten Jahr der DDR schrieb. Nicht zufällig erinnert der Rhythmus des Gedichts an den Beginn des Nibelungenliedes, und nicht zufällig steht es am Ende der Hanns-Eisler-Revue im Berliner Ensemble.

Die alten Weisen über den Kampf der Klassen, über Elend, Armut, Exil und Revolution, über die Tapferkeit der Entrechteten, singen sie tatsächlich noch in uns? Manfred Karge macht mit einem Ensemble von 22 Darstellern die Probe aufs Exempel. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Texte, sondern um ihre Wandlung und Steigerung durch die Vertonung Hanns Eislers. Und um einen Gang durch deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, vom Spartakuslied des Jahres 1919 bis zu Brechts Kinderhymne „Anmut sparet nicht noch Mühe“ aus dem Jahr 1955, die nicht zur Nationalhymne des wiedervereinigten Deutschlands werden durfte. Welches Unmaß an Hoffnung, an Tapferkeit, an gläubigem Vertrauen in die alles verändernde Kraft der Niederen tut sich in den Liedern auf und welche Naivität auch, welcher Trotz.

Das Anrennen gegen geschichtliche Abläufe, die sich nicht formen, nicht ändern ließen, war vergeblich. Durchdringende Vernunft, Freiheit von Tyrannei, Einigkeit der Völker blieben Utopie. Aber dann ist eben, wenn sich solche Trauer ins Hören mischen will, die Musik Hanns Eislers stärker. „Das gesellschaftliche Verantwortungsgefühl ist bei ihm lustvoll in höchstem Maße“, schrieb Brecht 1955. „Er schöpft seine Texte nicht einfach aus, er behandelt sie und gibt ihnen, was des Eislers ist.“ Und weiter: „In sein Werk eintretend, übergebt ihr euch den Antrieben und Aussichten einer neuen Welt, die sich eben bildet.“

Eisler formt die Erinnerung an das Vergangene um. Karge holt die Lieder, Balladen, Chöre nach Texten von Brecht, Tucholsky, Mehring und anderen aus der Tiefe eines schwarzen Trichters, abgeschlossen von einer Projektionswand (Bühne Karl Ernst Herrmann).

Man sieht, unter Neonröhren, gewissermaßen hinein ins Dunkel der Geschichte, von der Frauen und Männer, gekleidet in strenges Schwarz-Weiß (Kostüme Jessica Karge) eine Art Rechenschaft ablegen. Allein oder in Gruppen und Chören, in angedeuteten Spielszenen, wenden sie sich ans Publikum – und hören in sich hinein, Fremdheit betonend, Nähe herstellend. Es geht nicht um Perfektion in Gesang und Spiel, nüchtern, mitunter auch steif wird agiert, aber es herrscht eine bezwingende Ehrlichkeit. Karge hat bewusst sperrige, weniger bekannte Kompositionen und Texte ausgewählt, und er lässt Spielern und Zuschauern Zeit, sich mit ihnen in eine neue, andere Beziehung zu bringen. Aber Revue? Die gibt es auch. Bunte Lämpchen rahmen das Bühnenportal, ein Flügel fährt inmitten der Bühne herauf, wie von magischen Kräften bewegt, und Hanns Eisler ist sogar mal persönlich da, mit genau ausgeformtem Gesicht und klaffendem Mund, als sprechende Puppe in Lebensgröße.

Auch die Wunderwand für zauberische grafische Informationen und Deutungen des Bühnengeschehens ist von solchem gescheiten Witz geprägt, hier werden nach Musik und Text auf eine „dritte Art“ Geschichten und Geschichte erzählt. Im Mittelpunkt des Abends steht Roman Kaminski, der spazieren gehend Bruchstücke aus autobiografischen Texten Hanns Eislers zwischen die Lieder streut, präzise, überlegen, mit untergründigem Humor. Auch der Flügel wird von Kaminski erobert, er spielt und singt in leise ironischer Vertretung des großen Komponisten. Und das Orchester?

Um noch einmal Brecht zu zitieren: HaEislers Musik „erzeugt neue Zartheit und Kraft, Ausdauer und Wendigkeit, Ungeduld und Vorsicht, Anspruchsfülle und Selbstaufopferung.“ Das alles machen die Musiker unter der Leitung von Tobias Schwencke hörbar, sie werden vom Publikum zu Recht gefeiert. Fast am Ende des Abends dann sind alle 22 Mitwirkenden auf der Bühne, um das Solidaritätslied aus „Kuhle Wampe“ noch einmal zum Ereignis zu machen. Sie halten, immer straffer, ein Stoffband mit der Aufschrift „Solidarität“, bauen sich auf zur revolutionären Gruppe, sehen starr und mit erhobenen Köpfen ins Publikum. Dann zerbricht die strenge Formation, man geht einfach weg, das Band fällt zu Boden. Es ist die klügste, die bedrückendste Szene des Abends: Solidarität – was war das?Wieder am 21. und 27. Januar (20 Uhr), 6. (19.30 Uhr) und 11. Februar (20 Uhr)

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