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Kultur: Schwein gehabt

Salzburger Festspiele: Thomas Ostermeier macht sich mit Schlauch und Säge an „Maß für Maß“

Ein offener, gekippter Kasten, die Wände golden, schon bräunlich patiniert. Reste von erotischen Zeichnungen. Ein mächtiger Kronleuchter, abgestürzt auf dem Parkett. Ein bisschen jugendstilig von 1900, so präsentieren Regisseur Thomas Ostermeier und Bühnenbildner Jan Pappelbaum das sündige Wien als Schauplatz von Shakespeares Tragikomödie „Maß für Maß“.

Auf der Bank mit Kissen und orientalischen Decken warten schon beim Einlass die sieben Spieler, auf die das Personal reduziert ist. Dazu drei Musiker (eine Sängerin, ein Posaunist, ein Gitarrist), die den Abend mit Madrigalmusik begleiten. Die Festspielbesucher im Salzburger Landestheater müssen die beiden Stars, den größten Verwandlungsschauspieler und den größten narzisstischen Selbstdarsteller ihrer jeweiligen Generation, erst suchen: Gert Voss als Herzog und Lars Eidinger als sein Stellvertreter auf Zeit.

Der Auftakt: ein kollektives Understatement à la Berliner Schaubühne, die den Abend mit den Salzburger Festspielen koproduziert hat. Die Truppe reiht sich an der Rampe auf und intoniert sehr schön das Madrigal „Austria felice“. Erst mittendrin zeigt Voss, wer der Chef ist. Und der ist hier ein Künstler: Als grau melierter Herr im hellen Anzug dirigiert er eine Weile GeorgeSzell-haft, bis er plötzlich brutal mit der Handkante abschlägt.

Mit pomadigem, leicht schnöseligem Ton – in der gelenkigen Prosaübersetzung Marius von Mayenburgs – übergibt er die Macht an Angelo, den Puritaner. Bleich, im schwarzen Anzug, Stehkragen und Schlips, lässt Lars Eidinger gleich ahnen, dass darin kein guter Herrscher steckt, sondern ein Fall für die Sexualpathologie. Doch erst mal lässt Ostermeier Wind machen. Hubschrauberknattern wird eingespielt, der Herzog entschwindet wie ein Politiker von heute – nicht der letzte Fall von Einfallsregie an diesem Abend. Dann kann das Lehrstück um Macht und Moral, Recht und Gnade beginnen.

Mit fanatischem Eifer macht sich Angelo daran, ein lange nicht mehr angewandtes Gesetz zu exekutieren: die Todesstrafe für vorehelichen Sex. Der Täter, der junge Claudio, liegt schon auf dem Parkett: der jesushaft langhaarige Bernardo Arias Porras, nackt bis auf modische weiße Boxershorts. Ein Aufseher (Franz Hartwig) spritzt ihn mit einem Hochdruckschlauch ab, für den es hier praktischerweise einen Wasseranschluss gibt. Auch Angelo lässt sich das nicht entgehen. Hat nicht Lucio, ein Wiener Strizzi mit grüner Sonnenbrille und roter Trainingshose (Stefan Stern), vor aller Augen hechelnd und schreiend onaniert? Also erst mal alle abgespritzt, auch die Wände, von denen der Dreck in schwarzen Schlieren hinunterläuft.

Der Aufseher, offenbar im Nebenberuf Metzger, schleppt eine frische Schweinehälfte herein. Hängt sie an den Kronleuchter, der inzwischen als moralisches Signal hochgezogen ist, und macht sich mit dem Messer an dem guten Stück zu schaffen. Der Herzog, als Mönch verkleidet, um inkognito zu spionieren, sieht’s mit Verwunderung, greift aber gern nach dem Messer. Verstohlen spielt er damit (Symbol!), als er mit dem todgeweihten Claudio einen Ausweg bespricht.

Claudios Schwester, die Klosternovizin Isabella, soll Angelo dazu bringen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Die junge Jenny König wirkt, als sei sie der TV-Serie „Um Himmels Willen“ entsprungen – so blütenweiß rein ihr Gewand, so innig ihr Ton. Was aber nicht so bleibt. Beim zweiten Date kommen alle Requisiten des SM-Studios zum Einsatz, in das Ostermeier die Bühne verwandelt hat. Die versuchte Vergewaltigung findet auf der Schweinehälfte statt und artet in eine wilde Spritzschlacht aus.

Wie im wirklichen Leben (außer wenn die New Yorker Staatsanwaltschaft tätig wird) darf Angelo gleichwohl weiter seines Amtes walten. Von gnadenloser Rechtsverfolgung wird er mit einem Trick abgebracht: Anstelle Isabellas wird ihm im Dunkeln die eigene Verlobte, die er schnöde verließ, untergeschoben – die ebenfalls der Claudio-Darsteller mimt, mit Kabuki-Maske. Jetzt ist Angelo eben jenes Verbrechens überführt, das er verfolgte. Auch ein weiterer, bisher unbekannter Trick ist zu bestaunen: der Schweinskopf-Trick. Ein ebenfalls zum Tod verurteilter Mitverbrecher überlebt, indem man Angela einen Schweinskopf anstelle des Verbrecherkopfs präsentiert. Eine kunstvolle Metzgernummer, vom Aufseher vor aller Augen mit der Motorsäge exekutiert. Der Herzog, inzwischen wieder in Zivil unter seinem Volk, kommentiert’s: Schwein gehabt.

Mit Helikopterknattern ist er wieder eingeschwebt, als neuer und alter Herrscher. Mit neuem Anzug und neuer Krawatte. An diesen soignierten Herrn wird sich Isabella, die er sich als Frau ausgeguckt hat, wohl gewöhnen können. Und der bedröppelte Angelo muss zur Strafe seine Verlobte heiraten.

Wozu das ganze Experiment? Was Shakespeare wirklich meinte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ostermeier hat sich gegen die leisen Töne der Tragikomödie und für die des Spektakels entschieden: für Grand Guignol, für Verkleidung, Klamotte. Das ganz große Match zwischen dem Verwandlungskünstler Voss und dem narzisstischen Selbstdarsteller Eidinger ist es auch deshalb nicht geworden. Doch immerhin, der Regisseur weiß den (im Programm zitierten) Shakespeare-Forscher Harold Bloom auf seiner Seite. Der sieht in „Maß für Maß“ geradezu „marxistische Boshaftigkeit“ am Werk (nicht Karl, sondern Groucho). Und im Herzog erkennt er ein Selbstporträt des Autors: die „allemal gültige Parodie des stümpernden Komödienschreibers“.

Berliner Premiere: Schaubühne, 19.9.

Andres Müry

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