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Kultur: Schwimmer in der Jetztzeit

Neujahrskonzert: Die Band To Rococo Rot und ihre strengen Klangreisen

Eigentlich klängen sie doch genauso wie zu ihren Anfängen. Ronald Lippok schaut seinen drei Jahre jüngeren Bruder Robert herausfordernd an, der nickt nur müde, halb zur Bestätigung halb als Zeichen eines liebevollen Desinteresses. Robert Lippoks Arbeitszimmer ist gefüllt mit Schallplatten, Zeitschriften, Technik, Laptops. Damit kein Zweifel aufkommt, worum es geht und immer ging, steht mitten im Raum ein asiatischer Tisch mit zwei Turntables und einem Mischpult. Musik war stets Lebenszentrum der Fratelli Lippok, wie die Ostberliner Bohème das Bruderpaar früher nannte. Früher, das waren die achtziger Jahre, Ronald trommelte auf mit Legosteinen gefüllten Plastekisten rum, Robert spielte dazu einen Casio-Synthesizer, den billigsten, den es gab. Die Geschwister nannten sich Ornament und Verbrechen und wollten die Welt erobern. Zumindest aber den Untergrund des rußig-grauen Prenzlauer Bergs.

Prenzlauer Berg, wo Ronald noch immer in dem Haus der Eltern lebt, ist längst nicht mehr grau. Robert wohnt in der schickeren Spandauer Vorstadt, Tür an Tür mit dem Künstler Carsten Nicolai und, natürlich, über einer erfolgreichen Galerie. Das Leben der Lippoks besteht aus Kunstprojekten, Kollaborationen, Konstellationen. Kürzlich etwa entwarfen sie das Bühnenbild für den „Orest“ in der Komischen Oper. Beide stellen immer wieder in Galerien aus, basteln an Hörspielen und Radiofeatures.

Trotzdem: Alle Arbeiten entspringen oder münden in der Musik. Der 1963 geborene Ronald wurde mit seiner Band Tarwater berühmt. Musik, die man vor einigen Jahren noch leichtfertig „Postrock“ nannte (bis dann die Stromgitarren mit dem Garage-Rock wiederkamen). Die Lippoks und der Bassist des Düsseldorfer Trios Kreidler, Stefan Schneider, gründeten zudem 1995 mitten im House-Hype die Elektronica-Crew To Rococo Rot. Die Band trat in Technoclubs wie dem Münchner „Ultraschall“ auf. Schneider am Bass, Ronald Lippok am Schlagzeug, Robert programmierte und spielte Keyboards. Als ihr Konzert vorbei war, so erinnern sie sich, ließ ein DJ übergangslos sein Techno-Brett anlaufen. Bum-bum-bum. Es passte.

Heute in Roberts Arbeitszimmer rücken die beiden Berliner nur langsam mit solchen Anekdoten raus. Meist erzählt Ronald, während Robert zustimmt, ergänzt, witzige Kommentare einfügt. Dabei möchte man mehr hören: über Ornament und Verbrechen, die flüchtig waren wie ein Gerücht, aber irgendwann, gegen Ende des maroden DDR-Systems, Kultstatus hatten. Mehr über die Erschütterungen des Punk, des Acid House. „New Wave hat uns gut auf Techno vorbereitet“, sagt Ronald nur lapidar. Die Lippoks experimentierten schon in den Achtzigern mit Loops, wofür sie mühsam Magnetbänder zerschnitten und aneinanderklebten.

In der Instrumentalmusik von To Rococo Rot nun klingt das Beharren auf einer Basslinie, auf einer Snare oder auf ein vorgefundenes Geräusch, etwa das rhythmische Rütteln eines Diaprojektors, wie ein gesampelter Loop, wie eine schwebende, konzentrierte Reflexion über ein Thema. Das Klopfen, ätherische Flimmern oder Rauschen wird zusammengehalten durch versöhnende Stringakkorde oder zarte E-Piano-Töne. Töne, die niemals ausufernd Melodiebilder malen. Ornamente wären für To Rococo Rot ein Verbrechen. Meist bauen und bäumen sich die Stücke nicht auf und enden, wie sie angefangen haben. Wie der Bandname To Rococo Rot ein Palindrom ist, eine Wortfolge, die rückwärts gelesen Sinn behält, bestechen die reduzierten Stücke der Gruppe durch elliptische Symmetrie.

Auch die Bandgeschichte scheint Schleifen zu ziehen. Wenn man die Musik des Ost-Undergrounds hört, wie etwa auf den CDs, die dem kürzlich erschienenen Reader „Spannung. Leistung. Widerstand“ beigelegt sind, möchte man kaum glauben, dass sie in den Achtzigern, vor der Acid- und Techno-Revolution entstand. Die Produktionsmittel waren minimal, so auch die Musik, die mithilfe von C64-Computern, Plastikeimern oder selbst zusammengelöteten Platinen erzeugt wurde. Für ein erstes, leises Rave-Kunstwerk nutzten die Geschwister 30 Röhrenradios als Verstärker.

Je sparsamer sich die Musik gab, desto mehr Wert legten die Brüder aufs Visuelle. Für Ornament und Verbrechen und für die vielen Nebenbandprojekte (Bleibeil, 5 Wochen im Ballon, Etzel in Mecklenburg) ersannen sie raffinierte Cover, Plakate, extravagante Kostüme. Den Kunstanspruch haben sie mittlerweile internalisiert. „Bei unseren Konzerten mit To Rococo Rot kann man sehen, wie drei Leute Musik machen“, sagt Ronald Lippok. „Intensität ist uns wichtiger als Stil.“ Das Minimale als Gesamtkonzept.

Robert ist aufgestanden und zeigt seinem Bruder einen viereckigen Kasten mit Reglern und Pads: „Ein neuer Midicontroller mit ordentlich vielen Fadern!“

„War teuer, was?“

„Geht so.“

Man möchte gehen und sie weiter basteln lassen. Im Sommer wird ein neues To-Rococo-Rot-Album erscheinen auf dem britischen Label Domino, bei dem auch Jungspunde wie die Arctic Monkeys unter Vertrag sind. Die alten Geschichten sind unterhaltsam, die Gegenwart ist wichtiger. Vielleicht fehlt deshalb eine klare Entwicklung in ihrer Musik: Weil sie immer in der Jetztzeit schwamm.

To Rococo Rot bestreiten morgen in der Volksbühne das Neujahrskonzert, 20 Uhr. Die Songsammlung „Taken From Vinyl“ ist bei Staubgold erschienen. Das Buch „Spannung. Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990“, hrsg. v. Alexander Pehlemann und Ronald Galenza, kommt im Verbrecherverlag heraus.

Daniel Völzke

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