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Kultur: Schwules Museum: In den Pausen Häppchen

Potenzielle Straftäter zu identifizieren kann sehr einfach sein: "Sie kleiden sich häufig bewusst sportlich, tragen Schillerkragen und ziehen auch in überheizten Lokalen dicke Rollkragenpullover nicht aus. Wenn sie sich unbeobachtet glauben, mustern sie ihre Partner mit forschen Blicken.

Potenzielle Straftäter zu identifizieren kann sehr einfach sein: "Sie kleiden sich häufig bewusst sportlich, tragen Schillerkragen und ziehen auch in überheizten Lokalen dicke Rollkragenpullover nicht aus. Wenn sie sich unbeobachtet glauben, mustern sie ihre Partner mit forschen Blicken." So erkennt Hauptkommissar Ernst Schramm Schwule der Kategorie "maskuliner Typ". Deren Gegenstück, die "Tunten", "garnieren den Hals mit Chiffontüchern und sind in ihrem Gehabe weibisch. Das Haar tragen sie lang, es wird dauergewellt und auch gefärbt". Wer in den fünfziger und sechziger Jahren der Homosexualität verdächtig war, musste stets Razzien in den einschlägigen Lokalen fürchten. Jegliche homosexuelle Handlung war nach Paragraf 175 verboten.

Für die Aufhebung dieses Paragrafen setzte sich die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (GfRdS) ein. Das Schwule Museum dokumentiert die Entkriminalisierungs-Bewegung der Nachkriegszeit in Biografien und Fotos, Zeitungsartikeln, Federzeichnungen, Ölgemälden, Kunstdrucken, Schwulenzeitschriften, Briefen und Plakaten. Auch der Film "Wir stellen uns der Diskussion. Anders als du und ich" von 1957 zählt dazu, den die Zensur seines Happy Ends beraubte: Dem homosexuellen Protagonisten Boris gelingt nicht - wie im Drehbuch vorgesehen - die Flucht nach Italien, stattdessen wird er am Bahnhof Zoo verhaftet. Ein Ende, das den Erfahrungen der GfRdS-Mitglieder entsprach - viele von ihnen wurden strafrechtlich verfolgt, einige bereits durch den Nationalsozialismus. So auch der prominente Schöneberger Rechtsanwalt Werner Hesse, der in der Nachkriegszeit zur ersten Anlaufadresse für nach Paragraf 175 Angeklagte wurde.

Hesse setzte sich wie Botho Laserstein, ehemaliger Staatsanwalt und Autor des Rechtsratgebers "Angeklagter, stehen Sie auf!", für strafbedrohte Schwule ein. Der Kulturphilosoph Richard Grützmacher veröffentlichte in der Zeitschrift "Der Weg zu Freundschaft und Toleranz" einen Aufsatz über Nietzsche, dessen "Auffassung von der Männerfreundschaft verkennt und verurteilt ihre erotische Grundlage nicht". So posiert auf dem Titelblatt des vom Wilmersdorfer Buchhändler Rolf Putzinger herausgegebenen Schwulenblattes auch ein stählerner Jüngling in knapper Badehose.

Doch die Mitglieder der GfRdS entsprachen dieser Vorstellung des durchtrainierten, schwulen Sunny-Boys nicht. Die meisten näherten sich dem Rentenalter. 1951 bezeichnete Richard Gatzweiler Homosexualität in seiner Schrift "Das dritte Geschlecht" als "gefährliche Seuche" und das katholische "Petrus-Blatt" beklagte die "zu milden Urteile gegen Homosexuelle". Die GfRdS schrieb Protestbriefe und erstattete Strafanzeige gegen Gatzweiler - ohne Erfolg. Auch die Hoffnung, als Opfer des Nazi-Regimes anerkannt zu werden, erfüllte sich nicht. Die Verfolgung von Schwulen sei für die Faschisten nur ein "Vorwand" gewesen, heißt es in einem Brief der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Juden hingegen seien aus "weltanschaulichen, also politischen Gründen" diskriminiert worden.

Wegen dieser Misserfolge widmete sich die Homosexuellengruppe Ende der fünfziger Jahre eher Kunst und Literatur. In einer Privatwohnung traf man sich zum literarischen Salon: Bruno Balz, der für Zarah Leander "Kann denn Liebe Sünde sein?" komponiert hatte, gehörte dazu, der Schriftsteller Arnold Bauer und der Schauspieler Otto Sauter-Sarto. Ältere Herren, die sich ein Glas Sherry, in den Pausen Häppchen und zum Abschluss einen Cognac gönnten. Als die Gruppe sich 1960 auflöste, waren von den über 70 Mitgliedern nur 24 übrig geblieben. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag waren es, die 1969 zu einer Reform des Sexualrechts führten - nicht der Einfluss einer schwulen Protestbewegung.

Denise Dismer

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