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Die Philosophie im Badezimmer. Isabelle Huppert. Foto: Victor/Festspiele

© dpa

Kultur: Sehnsüchtig

Isabelle Huppert bei der „Spielzeit Europa“

Das eiskalt verglaste Bühnenbild, die coolen Möbel, die schöne, einsame, verrückte Frau, von miesen Kerlen drangsaliert: Das erinnert an die Ästhetik der Schaubühne und ist doch größer, verstörender. Isabelle Huppert als Blanche Dubois, in der Regie von Krzysztof Warlikowski, drückt den Zuschauer in die neuen Festspielhaussitze. Es ist ja der eigene Verstand, den man in diesem Gastspiel vom Odeon-Théatre de l’Europe verlieren kann. Ein Hochamt der Einsamkeit und des Älterwerdens, mit einer zarten, archaisch starken Hohepriesterin weiblicher Schönheitsrituale.

„Un Tramway“: Der verkürzte Titel des Tennessee-Williams-Klassikers „A Streetcar named Desire“ (Endstation Sehnsucht) beschreibt die radikale Fokussierung dieser zweieinhalbstündigen Séance auf den Star, auf Isabelle Huppert. Im Kino war das einst Marlon Brando – Blanches Schwager Stanley Kowalski –, der bestaussehende Proletarier Hollywoods. Aber von der Bühne ist die Arbeiterklasse schon lange verschwunden, und Warlikowski, der führende polnische Regisseur seiner Generation, interessiert sich auch weniger für Kowalskis Grobheiten als für Blanches kaputte Philosophie im Badezimmer. Andrzej Chyra spielt den Schatten eines versoffenen Prolls, eigentlich ein ganz netter Typ. Auch die anderen kümmern sich um Blanche – doch sie lebt in ihrer eigenen Welt. Entrückt im Schmerz über den verlorenen Ehemann und ihre untergegangene Luxuswelt; versunken im Monolog; süchtig nach Sehnsucht; mit dem Tod im Gesicht, als wär’s ein Kinderlächeln. Blanche Dubois in der Gestalt von Isabelle Huppert streckt die Hand aus nach Medea und Phädra, den Urbildern der Tragödie.

Warlikowski neigt zu statischen Versuchsanordnungen, zum Pathos unter Bedingungen eines aseptischen Labors – ähnlich wie Michael Haneke, mit dem Isabelle Huppert „Die Klavierspielerin“ drehte. Doch der Resonanzraum dieser Aufführung bei der „Spielzeit Europa“ dehnt sich gewaltig, auch wenn die Ausstattung von Malgorzata Szczesniak nach schicker Dramavereitelung riecht. Hupperts magische Präsenz, ihre zerstörerische Kraft und schwebende Leichtigkeit dringt in unheimliche Tiefen ein; man zittert um dieses Wesen. Sie ist noch bis Donnerstag in Berlin; alle Vorstellungen sind ausverkauft. Rüdiger Schaper

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