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Kultur: Sein Bild in unserem Spiegel

Islam oder Moderne? Abu Zaid und Navid Kermani diskutieren im „Streitraum“ der Schaubühne

Die Moderne hat die Rituale der religiösen Lebensführung nicht einfach zersetzt, sondern sie säkular transformiert. In der Schaubühne am Lehniner Platz jedenfalls klingt etwas von feierlicher Gottesdienststimmung nach, wenn sich bei einer Matinee Berlins intellektuelle Gemeinde zum aufgeklärt-kritischen Diskurs im „Streitraum“ versammelt: um mit dem Korangelehrten Abu Zaid und dem Islamwissenschaftler Navid Kermani über die „Modernisierung des Islam und die Islamisierung der Moderne“ zu debattieren.

Zaid lehrt an der Universität Leiden und gilt als einer der maßgeblichen islamischen Intellektuellen. Seine Thesen zur Trennung von Staat und Religion haben großen Einfluss auf religiöse Reformer in den arabischen Ländern. Die religiöse Orthodoxie indes hat ihn als Anhänger von Marx und Rushdie mit dem Tode bedroht; ein ägyptisches Gericht verfügte die Zwangsscheidung seiner Ehe. Zaid präsentiert den Islam als ein komplexes Gebilde, in das von vornherein ein Modernisierungsprojekt eingeschrieben war. Das sei in den ersten islamischen Jahrhunderten abzulesen gewesen an der Urbanisierung der nomadischen Stammeskultur, an der Abschaffung der Sklaverei, an der Offenheit für westliche Ideen. Doch liege dieses Vermächtnis in der islamischen Welt im Dauerkonflikt mit einer anderen Interpretation der Tradition, welche die Modernisierung als „Verwestlichung“ ablehne. Der Islam werde umgetrieben von der Frage: „Ist es möglich, Teil der Moderne zu sein und nach islamischen Normen zu leben?“

Solche Kritik des Islamismus kommt hierzulande gut an, solange sie nicht mit Kritik am Westen verbunden ist. Doch bedienen weder Zaid noch Kermani eine selbstzufriedene, bequeme Position im Lehnstuhl der europäischen Aufklärung. Kermani weist auf das Problem der double standards in der westlicher Politik hin. Eine schweigende Mehrheit im Islam bejahe die Demokratie und „westliche Werte“, kritisiere aber, dass der Westen die eigenen Werte im Umgang mit der islamischen Welt nicht anwende.

Zaid nimmt diesen Ball auf. Der Westen möge doch „sein Bild in unserem Spiegel“ betrachten: Die muslimische Welt sei in einer Schwächeposition, das Öl werde durch fremde Mächte kontrolliert, und der globalen Ungerechtigkeit sei man sich auch im kleinsten Dorf bewusst. Nur wenn der Druck auf die muslimische Welt gemindert werde, könne diese sich nach ihrer eigenen inneren Dynamik selbst entwickeln. Eine Politik der Drohung dagegen gebe den traditionalistischen Kräften Auftrieb. Das habe sich im Iran gezeigt, als die Islamische Republik von der US-Außenpolitik zum Bestandteil der Achse des Bösen erklärt wurde. Zaids desillusionierendes Schlusswort: „Wenn keine Lösungen für die Probleme der Ungerechtigkeit gefunden werden, können Verständigung und Austausch nicht gelingen. Die Mächtigen werden dabei immer zuerst mehr geben müssen." Ist es möglich, als Muslim Teil der Moderne zu sein? Im „Streitraum“ bestimmt. Doch dann ist die Andacht der Aufgeklärten schon vorbei.

Gerwin Klinger

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