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Kultur: Selbstporträt des Künstlers als junger Mann

Videoexperiment und Rollenspiel: Rainer Kirbergs Versuchsanordnung „Das schlafende Mädchen“.

Die Kamera ist auf einen jungen Mann gerichtet, der im Park gravitätisch auf und ab schreitet. Im Hintergrund, in den Büschen, wird ein junges Mädchen von der Polizei aufgestöbert, das gerade in den Teich steigen will, um sich zu waschen. Zwei Welten, zwei Prinzipien kollidieren: Der Kunststudent Hans (großartig gespielt von Jakob Diehl, dem jüngeren Bruder von August Diehl) will sich mit seiner Performance im Freien selbst befragen, die Streunerin Ruth (Natalie Krane) gerät ihm dazwischen und wird alsbald ebenfalls zum Werk stilisiert.

Wie eine Versuchsanordnung hat Regisseur Rainer Kirberg seinen Film „Das schlafende Mädchen“ angelegt. Erwartungsgemäß ruft Hans seiner widerspenstigen Muse, die er ins Atelier mitgenommen hat, irgendwann aufmunternd zu: „Das ist ein Experiment, ein Abenteuer.“ Ausgang offen.

Der in Schwarz-Weiß gedrehte Film fängt die Stimmung Anfang der siebziger Jahre ein, als Joseph Beuys von der Düsseldorfer Akademie hinausgeworfen wurde und Video Einzug in die Studios hielt. Mit jeder Einstellung will „Das schlafende Mädchen“ ein Künstlerfilm sein und ist zugleich selbst ein künstlerisches Traktat über die Selbstfindung des jungen Beuys-Studenten Hans, der wie sein Professor schließlich die Hochschule verlässt.

Das gerät bisweilen für den Zuschauer recht anstrengend, denn Hans’ Kamera bestimmt die Perspektive auf das Geschehen – vom Wackeln über gestörte Bilder bis zu harten Schnitten ist alles dabei. Zur Erhöhung der Authentizität hat Kirberg sogar bislang unveröffentlichtes Dokumentarmaterial rund um Beuys’ Entlassung eingespeist, mit Studentendemos in der Düsseldorfer Innenstadt und erregten Diskutanten vor der Akademie. Für Kenner eine echte Trouvaille.

Wie Bas Jan Ader, der legendäre holländische Konzeptkünstler, der 1975 mit seiner Segeljolle von Cape Cod aus in See stach und auf Nimmerwiedersehen verschwand, verlässt auch Hans am Ende die Szene: Er geht geradewegs aus dem Bild hinaus und wandert immer tiefer in die Büsche des Parks – einer ungewissen Zukunft entgegen. In diesem Bild verschwistern sich Kunst und Leben programmatisch. In der Realität gerät diese Liaison meist zum Nachteil der Kunst. Hans geht noch weiter, indem er behauptet: „Kunst ist, wenn du Kunst bist.“ Sein Kommilitone Philipp (Christoph Bach), der Ruth aus dem Atelier hinausmanövriert und sie ihm ausspannt, hält ihm entgegen: „Woher willst du wissen, was Kunst ist?“

„Das schlafende Mädchen“ hätte eine schöne Geschichte werden können; die Geschichte um einen jungen Mann, der sich in krisenhaftem Moment vor aufregender historischer Folie – die abebbenden Studentenunruhen, die Sehnsucht nach dem im Krieg gebliebenen Vater – seiner Rolle zu versichern und sein Selbstverständnis als Künstler zu klären sucht. Durch die Verdoppelung der Perspektive allerdings, das gleichzeitige Selbstfilmen der Hauptfigur und die klaustrophobischen Szenen im Atelier als Experimentierkästen des Selbstversuchs wirkt der Film überladen, ja manieriert. Die Vereinigung mit der Kunst ging hier auf Kosten des Films. Nicola Kuhn

Arsenal, Regenbogen-Kino

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