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Anhand von Puppen sollen junge Teenager lernen, was es heißt, Verantwortung für ein Baby zu übernehmen. Das ist sowohl für die Kinder als auch deren Eltern gewöhnungsbedürftig.

© dpa

Seltsame Schulprojekte: Mit Puppen verhüten

Man stand an einem Sonntagvormittag in einer Kreuzberger Wohnung, um den Geburtstag der Bewohnerin zu feiern. Es gab ein tolles Buffet, und man redete über alles, worüber man an Sonntagvormittagen redet: Euro. Plätzchenrezepte. Wohnungspreise. Berliner Schulpolitik.

„Wahnsinn, dass Kinder in Berlin schon mit fünf eingeschult werden“, sagte der Vater eines Fünfjährigen. „Total hysterische Reaktion auf den Pisa-Schock! Selbst die Finnen, bekanntlich Schulweltmeister, schulen erst mit sieben ein!“

„Fünf ist viel zu früh“, pflichtete eine Frau bei. „Das zeigen alle Studien. Selbst der schulpsychologische Dienst schlägt Alarm. Die Zahl der Auffälligkeiten ist in die Höhe geschossen.“

„Dann ist die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme doch aufgegangen“, so ein Dritter.

„Wie bitte?“

„Ist doch klar. Als das Einschulungsalter vorgezogen wurde, hat man nicht an die Kinder, sondern an die vielen arbeitslosen Psychologen gedacht. Und an die Dealer. Je früher Kinder in die Schule kommen, desto früher geraten immer mehr aus dem Gleichgewicht. Sie brauchen viel mehr und früher psychologische Betreuung und fangen außerdem schneller mit dem Kiffen an. Arbeit für Berlin!“

„Haha“.

Der Vater fand das gar nicht lustig. Er überlege schon, nach Potsdam zu ziehen, denn Brandenburg schule später ein.

Neue Gäste kamen. Eine Frau mit ihrer ungefähr fünfzehnjährigen Tochter, die wiederum selbst schon ein gut gegen die Kälte eingepacktes Baby im Arm hielt. Das aber, wie sich bald herausstellte, gar kein Baby, sondern eine Puppe war!

Verwunderte Stille.

„Das ist ein Schulprojekt!“, sagte das Mädchen routiniert, während es die Puppe lässig hin- und herwiegte.

„Was?“, fragte eine Frau entgeistert.

„Prävention“, sagte das Mädchen cool.

„Die Schülerinnen sollen erfahren, wie anstrengend das Kinderhaben ist. Um frühe Schwangerschaften zu vermeiden“, klärte die Mutter auf.

Alle starrten auf die Puppe. Auch das Mädchen schaute lächelnd in das Plastikgesicht. Es war eine ganz normale Puppe. Mit einem Schnuller im Mund. Aber unter dem Wollpullover trug sie offenbar einen programmierten Chip in der Brust.

„Manchmal schreit er“, sagte das Mädchen. „Wenn er Hunger hat oder müde ist oder gewickelt werden möchte.“ Und wenn sie dann das Falsche tue, würde das gespeichert.

„Wahnsinn“, sagte der Vater des Fünfjährigen. „Der Chip sammelt Vernachlässigungspunkte! Was passiert, wenn man ihr den Schnuller aus dem Mund zieht?“.

„Nichts“, sagte das Mädchen. „Aber es ist ein Junge.“

„Und wann schreit er am meisten?“

„Nachmittags. Wie ein echtes Baby."

„Und wenn du etwas Falsches machst? Ertönt dann kein Achtung-Fehler-Signal oder so?“

„Nö“, sagte das Mädchen. „Was ich falsch mache, erfahre ich später, am Ende des Halbjahres.“

„Wie im richtigen Leben!“, rief jemand belustigt, aber niemand lachte.

Am Schnullerring hing eine blaue Kordel. Die Puppe hatte grüne Augen und die Wimpern waren so lang, dass sie die Pausbäckchen berührten. Alle schauten, bis das Mädchen plötzlich schnaufte, als nerve die Glotzerei allmählich. „Äh“, machte eine Frau. „Erfüllt das Ganze eigentlich seinen abschreckenden Zweck?“

Das Mädchen zuckte mit den Schultern und schaute, als wollte es sagen: „Hauptsache, die Note stimmt“. Dann drehte es sich um und ging ins Kinderzimmer.

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