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Kultur: Serena und ihre süßen Gesänge

Ian McEwan führt seine Leser mit dem Agentenroman „Honig“ auf spiegelndes Glatteis.

Ian McEwans Roman „Honig" umfasst 450 Seiten, und ungefähr bei Seite 300 ruft der Redakteur an und fragt: Der neue McEwan, ist der gut? Wenn man das an dieser Stelle schon wüsste! Das Geschehen hat nach einer behäbigen Exposition zwar mächtig Fahrt aufgenommen, seit die (supersexy) Aus-Versehen-Geheimagentin Serena Frome sich in den (supererfolgversprechenden) Schriftsteller Tom Haley verliebt hat, obwohl sie ihn doch subtil manipulieren soll. Aber noch immer lässt sich nicht entscheiden, ob die Geschichte sich zum Schluss nicht als Literaturbetriebsgag, als altmeisterlich virtuose, wohlfeile Augenzwinkerei zu den Schlagworten Sex, Spionage, Fiktion und die Siebziger entpuppt.

Um wirklich ernst genommen zu werden, plappert die ich-erzählende Serena allzu unbedarft vor sich hin und erwähnt enervierend oft, wie schön sie sei: Man sieht diese Tochter aus gutem Hause beim Sprechen förmlich selbstverliebt ihre Prachtlocken zwirbeln. Um wirklich etwas über den Kalten Krieg und die Siebzigerjahre zu erzählen, stehen die Exkurse über Ölkrise, Depression und Bombenanschläge der IRA zu lehrerhaft im Text herum. Und für einen seriösen Agententhriller bleibt der Fall, die sogenannte Operation „Honig“ („Sweet Tooth“ im Original) zu läppisch; bei den Angestellten des MI5, dem britischen Inlandsgeheimdienst, handelt es sich durch die Bank um lächerliche Pappnasen.

Alles ist, zumindest für McEwans Verhältnisse, etwas zu klischeenah und holzschnittartig geraten. Allerdings: Aus dem unsichtbaren Bereich hinter den Theaterprospekten, die hier leichthändig verschoben werden, glaubt man das koboldhafte Autorenlachen der Vorfreude zu vernehmen. Irgendein Clou scheint also noch zu kommen. Anderthalb Stunden später – „Honig“ liest sich weg wie nichts – ist man schlauer.

Natürlich! Es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Man lehnt sich zurück, voller Bewunderung für die Fädenziehkunst des Autors und etwas enttäuscht über den süßlichen Geschmack, den die Lektüre hinterlässt.

Ja, „Honig“ ist wohl ein gutes Buch, aber mehr im Sinne von köstlich und delikat, weniger was Substanz und Erkenntnisgewinn angeht. Die Naivität Serena Fromes erinnert an die Naivität der jungen Erzählerin in „Abbitte“. Nur wird sie in „Honig“ eben nicht zu einer Quelle der Schuld mit furchtbaren Konsequenzen wie in McEwans Meisterwerk.

Wie in dem Roman „Saturday“ über die Angst nach den U-Bahnanschlägen spielt London auch in „Honig“ wieder eine zentrale Rolle, aber McEwan interessiert sich dabei nicht fürs Ganze, sondern nur für die kleine Welt des Literaturbetriebs. Der Autor wird in diesem Jahr 65 Jahre alt, und „Honig“ ist vor allem ein Geschenk an ihn selbst. Und dabei ein gewitztes Spiel mit einer ganz bestimmten Lesehaltung – und ein artifizieller Tanz zu der Frage, wie eigentlich ein Roman entsteht. Die Siebziger und die Spionage kann man also getrost streichen. Bleiben: der Sex. Und die Fiktion.

Serena Frome ist nicht nur wunderschön, sondern auch eine mittelmäßige Mathematikerin mit einem Abschluss in Cambridge. Aber vor allem ist sie eine leidenschaftliche Leserin. Nur eben eine einfältige leidenschaftliche Leserin. Sie hat sich den Kinderglauben daran bewahrt, dass das Beschriebene eine wirkliche Welt abbildet und fühlt sich von Romanen persönlich beleidigt, die diese Konvention brechen. Mit dem Wissen um den Ausgang der Geschichte, hört man an dieser Stelle McEwans Koboldlachen das erste Mal. Denn sind wir nicht alle ein bisschen Serena? Ruckzuck bereit und willig, uns in den Weiten eines realistischen Settings zu verlieren?

Apropos willig. Leidenschaftlich, unbedarft und mit einer entflammbaren Fantasie gesegnet, ist Serena das, was man wohl a piece of cake nennt – mit einem Happs zu verzehren. Ehe man sich’s versieht, hat sie eine Affäre mit einem älteren Professor, der sie auf sein Landhaus mitnimmt. Champagner vorm Kaminfeuer, Sex, und danach gelehrte Monologe über Literatur und das politische Geschehen. Serena saugt genüsslich alles auf. Da sie so verführerisch zugänglich ist, kann McEwan sie auch ohne gravierenden Glaubwürdigkeitsverlust vom Studium weg an den Schreibtisch eines Geheimdienstbüros lotsen. Sie will, dass das Leben romanhaft ist, also sei es!

Ist in Wirklichkeit natürlich total langweilig, so eine Existenz als zum Schweigen verpflichtete Karteikartenmaus. Aber zum Glück plant das MI5 gerade die Intellektuellenmanipulationsaktion „Honig“. Autoren, die als antikommunistisch gelten, sollen über dubiose Strohmann-Stiftungen durch Stipendien finanziert werden, um ihre pro-westlichen Artikel und Romane zu schreiben. (So etwas gab es wirklich: Der CIA finanzierte die bis 1990 in England erscheinende Literaturzeitschrift „Encounter“).

Serena wird also auf den jungen Tom Haley angesetzt. Zur Vorbereitung liest sie seine morbiden Erzählungen und – logisch – verliebt sich in das Bild, das sie sich von ihm macht, bevor sie ihm begegnet. Serena, die Sirene, ist eben die Verlockung an sich. Und Ian McEwan hat den zahlreichen Versuchungen genussvoll nachgegeben. Es geht ja nicht nur um den süßen Reiz, Literatur mit Wirklichkeit zu verwechseln – und die lustigen Verkrampfungen, die sich daraus ergeben, dass Serena beim Sex mit Tom an die „monströse Klitoris“ denken muss, die er in einer seiner Erzählungen einer weiblichen Figur angedichtet hat (oder eben nicht!).

McEwan erlaubt sich auch die Freiheit, seine Hauptfigur als Altherrenfantasie zu gestalten, quasi als hingebungsvolles Schriftstellergroupie. Nachdem sie ihren Job erfüllt und Tom das angebliche Stipendium angenommen hat, ohne zu wissen, dass Serena eine Agentin ist, und ohne dass Geld vom Geheimdienst kommt, leben die beiden das Klischee eines staatlich unterstützten Bohemelebens. Austern, Chablis, viel Sex in der Spitzwegmansarde, und während Tom sich danach wieder an die Schreibmaschine setzt, macht Serena den Abwasch.

Erst vom überraschenden Ende her verliert diese Übertreibung ihren unangenehmen Beigeschmack. Denn durch geschickte Wendungen befindet sich der Schwarze Peter plötzlich in der Hand des Lesers, und die Schriftstellerfantasie steht plötzlich als einfältige Lesererwartung ziemlich nackt da (der Kobold hinter der Wand kriegt sich gar nicht mehr ein).

Zum Geschenk an sich selbst wird „Honig“ aber, weil McEwan sich die geradezu rührende Eitelkeit erlaubt, sich selbst zu heroisieren – natürlich durch mehrfache ironische Brechungen. Denn der vielversprechende Autor Tom trägt viele Züge des jungen McEwan. Die Erzählungen, die Serena entzückt aufsaugt, und die ausufernd wiedergegeben werden, stammen aus seinem frühen Erzählungsband „Zwischen den Laken“. Es gibt auch Auftritte von Martin Amis, mit dem McEwan befreundet ist, und der Verleger und frühe Förderer Tom Maschler spielt auch eine Rolle. Und natürlich wird Tom berühmt.

Flugs schreibt er an Serenas stimulierender Seite einen kurzen Roman, der alles andere als pro-westlich ist, sondern ein düsteres Drama nach dem Zusammenbruch der Zivilisation. Serenas Führungsoffiziere sind not amused. Als er dafür einen renommierten Literaturpreis einheimst, kümmern ihn, ganz ungerührt lässiger Schriftstellerheld, die Meinungen der anderen keinen Deut. Er hackt manisch auf seine Maschine ein, besessen von seinem zweiten Roman, dem selbstredend ganz großen Ding. „Irgendwann kam er leise ins Schlafzimmer, schlüpfte zu mir ins Bett und wir liebten uns noch einmal. Es war unglaublich.“

Was schließlich passiert, als die Sache auffliegt und in allen Zeitungen steht, dass der gerade gefeierte Autor vom Geheimdienst finanziert wird, mit einem Foto von Serena und der Überschrift: „Haleys sexy Spionin“ wird hier nicht verraten. Nur so viel: In McEwans den Schein der Fiktion spiegelnden, aber doch flachen Schmunzelgewässern führt Verrat nicht zur Katastrophe – sondern nur zu noch besserem Sex.

Ian McEwan: Honig. Roman. Aus dem

Englischen von

Werner Schmitz.

Diogenes Verlag,

Zürich 2013.

448 Seiten, 22,90 €

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