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Frieden schaffen auch mit Waffen? Jonas Nay als DDR-Spion in „Deutschland 83“.

© RTL/Berlinale

Serien auf der Berlinale: Breaking Berlin

Drama, Baby - und das in Serie: „Blochin“ und „Deutschland 83“ eifern US-Vorbildern nach. Und das deutsche Serienfernsehen zeigt plötzlich horizontal Einsatz.

Die Zukunft des Fernsehens ist horizontal. Muss man sich erst mal drauf einlassen bei einem Medium, wo die Fiktion ständig steil geht. Die Macher haben lernen müssen, dass ein Trend im Weltfernsehen an Deutschland nicht vorbeigezogen ist: Faszination funktioniert – siehe „Lost“ – auch über 85 Stunden. Zumal das Publikum wächst, das sich vom starren TV-Programm zum flexiblen Streaming-Vergnügen hin aufgemacht hat. Die Sender, ob öffentlich-rechtlich oder kommerziell, suchen neue Attraktivität dort, wo sie bei den Zuschauern Anziehungskraft verloren haben – bei der Serie. Und das meint nicht die „Soko“-Kriminetten beim ZDF, den RTL-Dauercrashtest „Cobra 11“ oder die Weißkittel-Orgie „In aller Freundschaft“ im Ersten. Das ist TV-Alltagskost.

Das andere Serienfernsehen ist nicht neu, neu ist, dass das deutsche Fernsehen sich endlich mit Einsatzwillen daranmacht. Von der Anstrengung des Imports zu eigener Leistung kommt, „House of Cards“, „Borgen“, „True Detective“ kennt und ins Deutsche übersetzt. Auf dass sich die abgeschlossene Episode auflöst in große Erzählbögen über viele Episoden hinweg. Sehr komplexe Handlungen werden mit zahlreichen sich wandelnden und entwickelnden Charakteren verwoben. Raum und Zeit verschwinden im Sog des Binge-Viewing. Meta-Fernsehen. Kinoqualität, Jahrhundertproduktionen wie „Breaking Bad“. Das Erzählen in solcher Serienqualität ist fester Bestandteil der audiovisuellen Kultur geworden.

Berlinale nähert sich TV-Serien

Auch die Berlinale nähert sich dem Serienformat. So liefen etwa vor zwei Jahren einige Folgen von Jane Campions „Top of the Lake“ im Special. Dieses Mal sind Dramaserien im Weltpremieren-Format zu sehen: „Better call Saul“, das lang erwartete Spin-off von „Breaking Bad“, aus Israel „False Flag“ von den Machern der „Homeland“-Vorlage „Hatufim“, „Follow The Money“ aus der „Borgen“-Werkstatt. Für Deutschland treten an: „Blochin – The Living and the Dead“ (ZDF) und „Deutschland 83“ (RTL).

Beide Produktionen wollen sein wie die internationalen Vorbilder: wuchtig, bedrängend, atemlos. Kompression, Aggression, Dramen mit Vertikal-Allüre.

Jürgen Vogel spielt „Blochin“. Der Mann ohne Vornamen arbeitet bei der Mordkommission in Berlin. Mit seinen Kollegen muss er den Tod eines Drogendealers aufklären. Blochin kannte ihn, aus seinen Jahren, als er noch nicht Polizist war. Weit spannt sich das Schuld-und-Sühne-Netz: Family Business, Freunde, Feinde, Oberwelt, Unterwelt, Kreuz-und-quer-Verbindungen, große Privatheit trifft große Politik. Wenig ist, was es scheint. Der Boden, den Blochin endlich fest unter seinen Füßen zu haben glaubt, ist porös, seine Vergangenheit frisst seine Gegenwart an. Berlin ist ein Labyrinth, ein Ort von großer, auch sozialer Nervosität. „Blochin“ hat die Attitüde und den Look.

Das ZDF plant mit "Blochin" eine Revolution

Matthias Glasner, zuletzt 2012 mit „Gnade“ im Berlinale-Wettbewerb, ist der „Creator“ der Serie. Da muss er lachen, „Creator“ sei eine Erfindung der Berlinale, sagt er. Wahr sei, dass er für die 360 Minuten der ersten, fünfteiligen Staffel die Bücher geschrieben und Regie geführt habe. „Dass alles in meiner Hand war, bedeutet totale Verantwortung, bedeutet auch, dass ich bei Misserfolg alleine verantwortlich bin.“ Das ZDF zeigt sich vom Ergebnis begeistert. Glasner, der bei „Blochin“ auf seine Erfahrungen bei der innovativen ZDF-Serie „Kriminaldauerdienst“ zurückgreifen kann, sitzt schon an der Fortsetzung. Heißt auch: „Blochin“ ist mit Staffel eins nicht auserzählt. Muss für die Potenz der Erzählung, für die Expansion der Figuren stehen. Und für den Willen des Senders, diese „Reise“, wie Glasner sein Projekt nennt, mitzureisen. Deutlich teurer ist die Produktion, ein größeres Ensemble, ein größerer Set an Schauplätzen schlagen zu Buche. Während des dreimonatigen Drehs ging es nur für fünf Tage ins fiktive Polizeipräsidium, da haben andere Serien schon die Hälfte der Sendezeit gefüllt. „Blochin“ ist Bewegung, Multi- und Parallel-Perspektive.

Da braucht es kreative Produzenten, die darauf trainiert sind, Publikum, das darauf trainiert ist. Und der muss Sender mitziehen. Das ZDF plant mit „Blochin“ eine kleine Revolution. Möglicherweise geht die erste Staffel noch vor der Ausstrahlung komplett in die Mediathek oder die fünf Teile laufen an fünf Tagen hintereinander. Mut kommt in diesem Fall von Notwendigkeit – „Blochin“ verweigert sich dem Wochenzyklus. Glasner sagt: „Fernsehen ist spannender als Kino.“

"Blochin" ist Berlin der Gegenwart, "Deutschland 83" deutsch-deutsche Vergangenheit

„Blochin“ ist Gegenwart, „Deutschland 83“ ist deutsch-deutsche Geschichte. Die jetzt wiedervereint deutsch ist. Der Westen mit der (ost-)deutschen Bundeskanzlerin vorneweg ringt aktuell mit Russland um den Frieden in der Ukraine. 1983 etikettierte US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als „Reich des Bösen“. Die BRD rüstete mit Pershing-II-Raketen auf, Deutschland, BRD wie DDR, wäre im Zentrum der nuklearen Katastrophe gewesen.

1989 sitzt Jörg Winger in einer Bundeswehrkaserne. Der Wehrpflichtige hört den Funkverkehr der Sowjets ab. Da ist der Samen gelegt, der 14 Jahre aufgehen soll. Der Fernsehproduzent („Soko Leipzig“) und seine Frau Anna Winger, Autorin und Schriftstellerin („This must be the place“), kreieren „Deutschland 83“. Anna Winger lebt seit zwölf Jahren in Berlin. Sie sagt, sie könnte als US-Amerikanerin und Britin die Geschehnisse objektiver sehen, müsse sie nicht zwanghaft nach Ost oder West gewichten. Winger ist Head-Autorin, zusammen mit einem vierköpfigen Team wurden die Bücher für die ersten acht Folgen geschrieben. Die Head-Autorin ist der Kompass, der in dem Dschungel aus Handlung und Figuren die Richtung findet. Winger nennt das „die Vision“ und rühmt die Vorzüge eines „Writers’ Room“: mehr Ideen, mehr Input, mehr Diskussion, größerer Reichtum, schnelleres Schreiben. Denn es muss fix gehen, damit Produzent Jörg Winger loslegen kann. Die Wingers, ein Showrunner-Duo.

Die HVA, der Auslandsgeheimdienst der DDR, zwingt den jungen Moritz Stamm (Jonas Nay) nach Westen. Mitten hinein in die Bundeswehr, Friedensdemos, Nato-Manöver, Neue Deutsche Welle. Der Spion hat eine Mission, andere haben Missiles, da ballt sich zusammen, was sich zusammenballen muss. Vor der Zeitfolie von Nachrüstung und Gegenrüstung geht „Deutschland 83“ in die Knie und berichtet aus der Perspektive der Maulwürfe. Liebe, Familie, persönliche Probleme kommen hinzu, Moritz Stamm ist ein Getriebener. Ganz wichtig, sehr gelungen: Bei „Deutschland 83“ werden die Figuren lebendig, so sehr Fleisch und Blut, wie sonst in den Episodenserien Plaste und Elaste durchs Bild huschen.

Acht Folgen der RTL-Serie sind produziert, der Sender terminiert die Ausstrahlung für Ende 2015. Nicht anders das ZDF bei „Blochin“. Vielleicht eine vermessene Vorfreude: Das goldene Zeitalter der TV-Serie als goldener Herbst im deutschen Free-Fernsehen.

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