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Sesamstrasse: Wer nicht fragt, bleibt dumm

Sind Ernie und Bert ein homosexuelles Paar? Müsste das Krümelmonster nicht längst an Diabetes verendet sein? Fragen, die sich Vorschul-Kinder noch nicht stellen, die aber spätestens bei pubertierenden Jugendlichen auf dem Pausenhof sehr beliebt sind. Nach Antworten wird nun schon 35 Jahre gesucht – doch dafür verdanken wir der "Sesamstraße“ andere Erkenntnisse.

"In Bayern gibt es keine unterprivilegierten Kinder", so lautete 1973 die Stellungnahme des Bayerischen Rundfunks. Als heute vor 35 Jahren die erste Folge der US-Serie "Sesame Street" in einer deutschen Fassung auf den dritten Programmen ausgestrahlt werden sollte, weigerte sich der Regional-Sender. Dem Bayerischen Rundfunk passte die soziale Ausrichtung nicht. Auch in den USA, wo die Serie bereits seit 1969 ausgestrahlt wird, sind die DVD-Fassungen seit einiger Zeit mit Warnhinweisen versehen. Kann denn eine Sendung schlecht sein, die vordergründig mit pädagogischen Werten angetreten ist?

Klar ist Graf Zahl (im Original "The Count") ein sehr morbides, untotes Wesen, doch niemals hat er den Kindern etwas anderes als Zählen beibringen wollen. Oscar aus der Tonne, der alte Griesgram, ist grundsätzlich ein äußerst sympathischer Kerl – auch wenn er gerne davon singt, wie wohl er sich im Müll fühlt. Trotzdem wurde er in Deutschland schnell durch den etwas biederen Rumpel ersetzt. Dass das Krümelmonster vielleicht nicht das beste Vorbild ist, sieht man übergewichtigen amerikanischen Kindern an. Doch die US-Produktionsfirma hat reagiert und das Monster Nimmersatt auf Obst-Diät gesetzt. Steter Begleiter des "Obstmonsters" sind nun eine Karotte, eine Aubergine und ein Früchte-Chor. In Deutschland hatte man bereits früher reagiert und das Thema Ernährung unter Leitung von Fernsehkoch Alfred Biolek auf den Stundenplan gesetzt.

Im Laufe der vergangenen 35 Jahre hat sich die deutsche "Sesamstraße" ohnehin sehr stark vom Original abgehoben. In den Jahren 1973 bis 1975 waren auf den Dritten Programmen insgesamt 250 deutsch synchronisierte Fassungen der Originalserie zu sehen. In denen war zum Beispiel der Charakter Elmo ein weibliches Monster namens Elma – was nicht gerade zur Völkerverständigung beitrug. Die erste deutsche Bearbeitung, die ab 1976 gezeigt wurde, floppte, weil sie mit der ursprünglichen Rahmenhandlung nichts mehr zu tun hatte. Das Geschehen spielte sich nicht mehr in einer Straße mit Jim Hensons Muppet-Figuren ab, sondern wurde in einer filmisch erzählten Geschichte mit den Hauptfiguren Blumfield und seiner Mutter abgehandelt. Der Name "Sesamstraße" wurde dadurch ad absurdum geführt, so dass der NDR ab 1977 im Wandsbeker Studio in einer deutschen Sesamstraße filmte. Diese Adaption dürfte die bekannteste darstellen. Hauptdarsteller waren seitdem zwei Menschen – Henning (gespielt von Henning Venske) und Lilo (gespielt von Liselotte Pulver) – sowie der Bär Samson und die vogelartige Tiffy. Ein Henson-Mitarbeiter reiste extra mehrere Wochen durch Deutschland, um sich für die Gestaltung der beiden inspirieren zu lassen. Wie dabei eine Figur wie Samson herauskommen konnte bleibt wohl ein Geheimnis.

Weitere Figuren tauchten erst in den folgenden Jahren auf. Herr von Bödefeld oder Finchen sind dennoch heute nicht mehr aus den Erinnerungen an die Sesamstraße wegzudenken. Oder was wäre eine Kindheit ohne Kermit, den Frosch von den "Sesamstraßen-Nachrichten"?

Natürlich ist die "Sesamstraße" nicht so entwicklungsfördernd wie die "Sendung mit der Maus", doch neben all der Political Correctness wird doch ein wenig Unterhaltung erlaubt sein. In der Südafrikanischen Version der "Sesamstraße" geht der Lehrdrang immerhin soweit, dass man 2002 den HIV-positiven Charakter Kami eingebunden hat, um gegen die Diskriminierung von Aids-Kranken anzukämpfen.

Philipp Strobel

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