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Kultur: Sessel und Öfen

„Vor aller Augen“: 120 Fotos am Zaun der Topographie des Terrors

„Eltern haften für ihre Kinder“ steht am Bauzaun der Topographie des Terrors. Dahinter ein Erdhügel, über den viel Gras wächst. Rundum Nachkriegsmietshäuser, ein Löcherstück DDR-Mauer, eine Dauernotausstellung über das NS-System in Kellerresten der einstigen Gestapozentrale, Septembersonne, eine Betonruine. Berliner Baugeschichte.

Am Zaun hängen unter dem Titel „Vor aller Augen“ 120 Fotos, Dokumente „des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz“: Von 1933 bis ’41 drängeln sich ernste und heitere Schaulustige auf deutschen Straßen und Plätzen, um zu erleben, wie Verhaftete verhöhnt, „Rassenschänderinnen“ geschoren, Läden boykottiert, Synagogenmöbel auf Scheiterhaufen verbrannt werden. Alle sollen, viele wollen es sehen. Von Scham keine Spur. Aufnahmen der Deportationen „nach Osten“ dagegen sind Schnappschüsse einer schwer zu tarnenden Geheimaktion; rarer noch scheinen Bilder von der Verwertung und Lagerung jüdischen Eigentums. Hunderte von Sesseln. Öfen, Öfen. Auktionen. Die Differenz zwischen dem Lampenschirm aus Menschenhaut und dem Deportationsschnäppchen ist nur graduell; in welcher Familie ist das Erbstück gelandet? Geknipst haben Täter, Zufallschronisten. Das ist der politische Blickwinkel dieser Auswahl aus 283 Archiven: Sie zeigt das Menschheitsverbrechen im Alltag seiner Akteure und Voyeure.

Unbekannte Provinzfotos öffnen und schärfen unseren Blick, anders als die oft publizierten Horrorikonen großer Archive, sagt Gedenkstättendirektor Rürup. Senator Flierl verspricht die Vollendung der Topographie; „wir brauchen diese Dokumentationszentren“, das beweise auch die Schändung eines brandenburgischen Mahnmals am Vortag. Was so klingt, als bewirke jede Neonazi-Attacke den Bau weiterer Gedenkstätten, zur Prophylaxe. 2006/7, ein Jahr später als zuletzt verkündet, soll das vor aller Augen verschleppte Museum des deutschen Terrors fertig werden. Hier geht es, das zeigen die Fotos am Bauzaun, um deutsche Familiengeschichten. Neverending history: Kinder haften für ihre Eltern. Thomas Lackmann

Bis 17.11., tgl. 10-20 Uhr, ab Okt. bis 18 Uhr

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