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Kultur: Sex, Siddharta, Schickimicki

Döris Dörries Film „Nackt“ plädiert, eher hochgeschlossen, für die große Liebe

Von Jan Schulz-Ojala

Beträchtliche 17 Jahre ist es her, da hat Doris Dörrie mit „Männer“ einen Boom losgetreten, der sich zehn Jahre lang austobte, obwohl alle Welt ihn bald zu verfluchen begann: das Beziehungskomödienwesen. Fünf Millionen Deutsche lachten über Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach, die sich – Schlaffi gegen Yuppie – ein kurioses Gefecht um eine Frau lieferten und nebenbei im Rollenwechsel auch noch ein bisschen klüger wurden. Heiterkeit und Harmonie, ewiges Pennälertum und ein bisschen Küchenphilosophie für alle: Schon die damals 30-Jährige hatte all die Ingredienzen beisammen, aus denen sie seither ihre Geschichten und Filme webt. Und, wenn das große Wort erlaubt ist, man liebte sie dafür.

Nun hat Doris Dörrie „Nackt“ gedreht, eine Beziehungskomödie vom anderen Ende des Booms: erheiternd, aber auch melancholisch, erst dissonant und dann verblüffend harmonisch, und selbst die lebenslangen Pennäler und das Kapitel Küchenphilosophie kommen nicht zu kurz. Noch immer also benutzt die längst etwa über dem herzbewegend tiefen „Bin ich schön?“ und dem herzhaft flachen „Erleuchtung garantiert“ Gereifte ihre traditionellen Geschichtengewürze. Nur dass plötzlich viele Leute diese Art des durchaus nahrhaften Unterhaltungskinos nicht mehr zu goutieren scheinen.

Kann sein, dass wir derlei sachte satt haben. Kann auch sein, dass da jemand beim Älterwerden plötzlich ins Altmodische gerät, allem jungen Personal und aller heutigen Sprache zum Trotz. Kann sogar sein, dass die berufsjugendlichen Kinogänger über das Pennälerhafte ebenso hinaus sind wie über eine Moral, die – immer sagt sie: Menschlein, liebet einander – fast christkindlich harmlos wirkt. Wahrscheinlich hat Doris Dörrie, die pointenselige Alltagsbeobachterin, uns immer ein bisschen gegängelt, vom klaftertief im Gutmenschentum wurzelnden Dietmar Schönherr in „Bin ich schön“ bis zu den wechselseitig Neu-Beseelten in „Erleuchtung garantiert“. Nur: Auf einmal merken wir es.

Wer ein freundlich angebotenes Lebensgeländer dennoch gern ergreift, kann durchaus zu Hause sein in „Nackt“. Und sich – wieder einmal – an einer geradezu mathematisch sauber gebauten Struktur erfreuen (nur in „Bin ich schön?“, der filmischen Metapher auf ihre tiefste Lebenskrise, hat sich Doris Dörrie einmal ganz ins Abenteuer des freien Erzählens gewagt): Drei Paare treten in drei Szenen auf und, in umgekehrter Reihenfolge, wieder ab. Und in der hohen Mitte des Films kommen sie alle zusammen und spielen das Spiel, das dem Film den Titel und die dramatische Wendung gibt. Aristoteles mit seiner Dreieinigkeit aus Zeit, Ort und Handlung war gar nichts dagegen.

Da sind Emilia (Heike Makatsch) und Felix (Benno Fürmann): das gewesene Paar. Emilia lebt in einer Bude voller Kartons und schläft im Wohnzimmerzelt – eine Frau, die sich nach einer zu langen Liebe vorsichtig wieder einrichten muss und will in sich selbst – fern von Felix, ihrem ziemlich klebrigen Nichtsorechtverflossenen. Das zweite Paar, die Immernochirgendwieglücklichen, sind Annette (Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel): Man liebt und neckt und streitet und versöhnt und liebt und neckt und streitet sich. Beide Paare treffen sich bei Charlotte (Nina Hoss) und Dylan (Mehmet Kurtulus) zum Dinner: Ja, es ist ein zumindest optisch prächtiges Dinner, das der an der Börse reich gewordene Dylan und seine selbsterfahrungswütige Edelzicke von Freundin da auffahren – auch wenn die Ente kross frei Haus vom Chinesen kommt.

Bei diesem Dinner kommt es zum Showdown. Oder besser zum – ziemlich züchtigen – Striptease zweier Paare. Sie wollen, Emilia und Felix machen die Schiedsrichter, beweisen, dass Liebende sich nackt und mit verbundenen Augen sehr wohl erkennen; ganz anders als dies irgendwelche dummen Beziehungsdemonteure behaupten wollen. Die Dialoge – Dörrie hat sie aus ihrem Theaterstück „Happy“ übernommen – gehen erst pfeilschnell und witzig, später eher länglich schwirrend und möglichst widerhakelig sich in die jeweiligen Partnerseelen bohrend, hin und her. Leute reden, die – immer mal wieder – wir selbst sein könnten. Leute sind uns nah, weil sie uns an welche erinnern, denen wir wehgetan haben. Und eine kleine kriminalistische Intrige gibt es; sie wird – fast todesmutig gegen die Gesetze des Kinos – zurückgenommen.

Und doch krankt „Nackt“ sozusagen an sich selbst: Es ist das hochsymbolisch aufgeladene Spiel ums Nacktsein, das nicht stimmt. Die Paare also scheinen sich nicht zu erkennen, als sie in jener Ausnahmesituation einander zugeführt werden: Heißt das, dass sie einander im biblischen Sinne bislang auch nicht so recht „erkannt“ haben, wie es der Film etwas umständlich buchstabiert; dass angesichts des offenbaren Versagens des Tastsinns die gemeinsame sexuelle und erotische Erfahrung nicht zählt? Unsinn. Lebensfremd. Auch die aufwendige Rücknahme der These macht die These nicht besser – „Münchner Buddhismus“, wie Verächter der Dörrie’schen Hausreligion sagen. Doch schon recht: Sex, Siddharta und Schickimicki passen hier nicht zusammen.

Es sind dann die Schauspieler, die die Geschichte aus dem Würgegriff ihrer Erfinderin befreien. Jürgen Vogel und Alexandra Maria Lara glauben wir ihre burschikosen Figuren gern. Nina Hoss in wechselnden Tülls und Perücken gibt ihrem Püppchen zwar arg viel Zucker, und Benno Fürmann ist immer irgendwie zu schön, um immer so dauersensibel zu sein. Dafür sieht Mehmet Kurtulus einfach nur aus, das soll heute genügen. Heike Makatsch aber ist ein Ereignis: Wie diese schon fast ins großäugige Hübschsein wegsortierte Schauspielerin Erfahrung – auch Schmerz also – selbst in winzigste Gesten und Blickwechsel injiziert: atemberaubend nackt.

Ab Donnerstag in elf Berliner Kinos

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