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Schattenfänger. Die Protagonisten erleben Abenteuer in den Hauptstädten der Welt. Dabei agieren die Darsteller hinter einer Leinwand.

© Beowulf Sheehan

"Shadowland" im Admiralspalast: Macht der Fantasie

Die US-Tanztheaterkompanie Pilobolus kommt mit ihrer Show „Shadowland 2“ nach Berlin. Eine Reise in die Wälder Connecticuts, wo die Truppe ihren Sitz hat – und sich inspirieren lässt.

Ungeöffnete Pakete sind eine Zumutung, nicht nur für Kinder. Auch die beiden Angestellten, die in einem Lagerhaus Kartons stapeln, können es nicht lassen – und öffnen einen von ihnen. Im Inneren entdecken sie exotische Wesen, vogelartig, mit buschigem Bauch, langem Hals, spitzem Schnabel. Wie ein Vogel Strauß. Was das genau ist? Bleibt erst mal unklar. Und bis ins Letzte sollten die Besucher der Show „Shadowland 2“ das Mysterium auch gar nicht ergründen. Das Tierchen ist ein Symbol, es steht für vieles: Individuelles Glücklichsein, Fantasie, Imagination, Freude, Liebe. Alles, was positiv ist. Die Botschaft: Jeder Mensch besitzt seinen ganz eigenen „Vogel Strauß“. Und obwohl der Vorarbeiter, der einen Hang zum Tyrannischen hat, den zauberhaften kleinen Glücksbringer natürlich für sich haben möchte, geht die Story nach vielen Fährnissen, Unfällen und gefährlichen Reisen gut aus.

Das Besondere: Sie wird mit den Mitteln des Schattentheaters erzählt. Wie Pantomime, nur noch radikaler. Keine Worte, keine Mimik. Nur Körpersilhouetten, die alles ausdrücken müssen – Gefühle, Emotionen, Regungen. Das Ganze auch noch spiegelverkehrt, die Darsteller agieren hinter einer Leinwand, ein Federbusch bildet den Bauch des Vogels, der Arm seinen Hals, die Hand Kopf und Schnabel. Der Abstand zur Lichtquelle entscheidet darüber, wie groß oder klein die Figuren dem Publikum auf der anderen Seite erscheinen. Die US-Tanztheaterkompanie Pilobolus hat sich in den vergangenen Jahren auf diese ganz besondere Kunstform spezialisiert. Mit ihrer ersten abendfüllenden Show „Shadowland“, bei der die Abenteuer eines Mädchens im Mittelpunkt standen, feierte sie 2009 große Erfolge, vor allem in Europa. Auch in Berlin war die Show ein Renner, so sehr, dass die Nachfolgeproduktion jetzt sogar hier welturaufgeführt wird: ab 26. Juli im Admiralspalast.

Logisch, die Tänzer von Pilobolus sind alle jung, das bringt der Beruf mit sich. Die Kompanie selbst aber existiert schon seit 45 Jahren. Ins Leben gerufen wurde sie 1971 von einigen Studierenden des Dartmouth College in den Wäldern von Connecticut nördlich von New York. Benannt ist sie nach einem auf Bauernhöfen vorkommenden, schnellwachsenden Pilz. Wer staunend das an einem Berghang gelegene Haus von Robby Barnett, einem der Gründer von Pilobolus, inspiziert und mit leisem Schauern Wespennester, Schmetterlinge und Schlangenskelette betrachtet, mit denen er sein Heim ausstaffiert hat – der ahnt, wie wichtig alles Kreatürliche, der direkte, unverfälschte Zugang zur Natur für das künstlerische Ethos der Kompanie ist.

Szene aus "Shadowland 2".
Szene aus "Shadowland 2".

© Beowulf Sheehan

Pilobolus wollte von Anfang an Tanz aus der Provinz heraus erneuern, modernes, überraschendes, spartenübergreifendes Tanztheater machen. Was seither auch in über 100 kürzeren und längeren Produktionen realisiert wurde. Der ganz große Durchbruch kam 2006 mit einem Werbespot für den Autobauer Hyundai, in dem Pilobolus-Tänzer täuschend echt die Silhouette eines neuen Automodells mit ihren Körpern imitierten. Die Performance war ein Renner im Netz und brachte der Truppe einen Auftritt bei der Oscar-Verleihung 2007, wo sie Szenen aus den nominierten Filmen mit Schattenrissen nachbildeten, etwa den Stöckelschuh aus „Der Teufel trägt Prada“. Auch Moderatorin Ellen DeGeneres war hingerissen und versuchte sich selbst im Live-Schattentheater. In Deutschland trat Pilobolus 2011 bei „Wetten, dass ...“ auf.

Der Alltag der Kompanie ist von Pomp und Glamour ziemlich weit entfernt. So weit, wie das Städtchen Washington Depot in Connecticut von New York City. Hier hat Pilobolus seinen Sitz. Bei der Fahrt durch die endlosen Wälder Neuenglands, vorbei an rauschenden Eichen und Birken, taucht hinter jeder Biegung der kurvigen Straße ein anderer prachtvoller Landsitz auf. Viele sind gar nicht ständig bewohnt, die Eigentümer leben in Manhattan, wo sie das Vermögen verdienen, das sie brauchen, um hier auszuspannen. Wir sind im „Outback“ der Metropole, in der Uckermark von New York City. „Für unsere kreative Arbeit ist diese Ruhe und Abgeschiedenheit unschätzbar wertvoll“, sagt Itamar Kubovy. Er ist Executive Producer von Pilobolus und hat auch einige Jahre in Berlin als Dozent an der Hochschule „Ernst Busch“ gearbeitet.

Die Macher sind stolz auf das Handwerkliche, Ehrliche ihrer Arbeit

Jetzt sitzt er auf der Bank vor dem kleinen viktorianischen Haus in Washington Depot. Marilyn Monroe soll hier eingekauft haben, als sie noch mit Arthur Miller zusammen war. Philip Roth wohnt in der Nähe. Die Künstlerszene New Yorks zieht sich gerne hierher zurück. Für gute Gedanken sind eine Portion Muße und ja, auch Langeweile ganz hilfreich. Kein hektisches Termingewusel, kein ständiges Anrempeln, keine Smartphone-Zombies. Dafür eine kleine, typisch amerikanische Feier zum Memorial Day vor dem Rathaus. Der Wind in den Bäumen, das Plätschern des Baches, der sich irgendwann in den mächtigen Hudson River ergießt und seinen Teil dazu beiträgt, dass dieser, wenn er schließlich an Manhattan vorbeiströmt, auf doppelte Rheinbreite ausweitet – mindestens. Man spürt, wie stolz die Macher von Pilobolus auf das Handwerkliche, Ehrliche ihrer Arbeit sind. Darauf, dass sie auf Technik, elaborierte Lightshows, raffinierte Soundtracks weitgehend verzichten und dafür ganz den Menschen machen lassen. Und damit Erfolg haben.

Steven Banks ist bekannt geworden als Hauptdrehbuchautor der Nickelodeon- Serie „Spongebob Squarepants“. Aber er hat auch das Skript für die erste „Shadowland-“Show geschrieben und ist auch jetzt wieder mit an Bord, genauso wie Komponist David Poe. „Wir haben viel ausprobiert“, erzählt Banks, „um uns weiterzuentwickeln.“ Das sich alles um einen Vogel Strauß drehen würde, sei anfangs überhaupt nicht klar gewesen. „Aber irgendwann stand fest: Diese Figur verfolgen wir weiter.“ Neben Schattentheater gibt es diesmal auch „konventionelle“ Theaterszenen vor der Leinwand, auch das ist neu. Für die Umsetzung zuständig ist Chefchoreograf Matt Kent. „Die Show kämpft gegen Faschismus“, erklärt er, „und das haben wir in diesem Land gerade bitter nötig.“ Um dann noch so ein typisches Pilobolus-Zitat, wie es eigentlich nur den Wäldern Neuenglands entsprungen sein kann, loszuwerden: „Fantasie ist eine Waffe. Nutze sie.“

Admiralspalast, 26. bis 31. Juli, jeweils 20 Uhr. Die Reise nach Connecticut fand auf Einladung von Semmel Concerts statt.

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