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Kultur: Sie wachsen nur einen Sommer

Südseeschäume: Die „Weimarer Gartenlust“ versucht, Schneisen in das Dickicht aus Kunst, Kitsch und Kommerz zu schlagen

Hinter Nationaltheater und Bauhaus-Museum erheben sich dicht bewaldete Berge. Mitten in Thüringen eigentlich nichts Ungewöhnliches. Und doch werden Weimarer wie Gäste der Klassiker-Stadt ihren Augen kaum trauen. Das Goethe-Schiller-Denkmal ragt aus einem giftig schillernden Tümpel, von quietschgrünen Palmen und Agaven umsäumt. An der Säulenfront des Theaters schlingen sich Lianen empor. Nur das rote Betonpflaster zu unseren Füßen erinnert an den hunderttausendfach fotografierten touristischen Wallfahrtsort des Jahres 2003.

Wer auf der Rückseite der am Theaterplatz aufgestellten Installation von Yadegar Asisi das Kleingedruckte liest, erfährt den Anlass dieser betörenden Augentäuschung. Asisis Panoramabild wirbt für die „Weimarer Gartenlust“, einer hierzulande noch ungewöhnlichen Mixtur aus kommerzieller Gartenmesse, wissenschaftlich fundierten Ausstellungen und künstlerischem Rahmenprogramm.

„Illusionen, Erotik und Abenteuer“ werden da dem Besucher der zentralen Ausstellung „Südseeträume“ im Schloss Belvedere versprochen, eine Prise sex and crime inklusive: „Erleben Sie die Geschichten von der Sucht nach Pflanzen, Geld und Erkenntnis.“

Mit unterhaltsamer Geschichtsvermittlung in Zeiten knapper öffentlicher Kassen Geld machen - das muss sich auch Hellmut Seemann, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, gedacht haben, als er Viktoria Freifrau von dem Bussche-Ippenburg einlud, ein Gartenfestival mit kulturhistorischem Background zu organisieren. Die Gärtnerin aus Bedarf und Leidenschaft begründete 1998 die erste private deutsche Gartenmesse im heimischen Schlosspark. Ihr großes Vorbild ist die Londoner „Chelsea Flower Show“, die jährlich 150000 Besucher anlockt.

In Weimar benötigte man Anfang Juli innerhalb von vier Messetagen mindestens 12000 zahlende Besucher (die Ausstellungen hingegen sind den ganzen Sommer hindurch zu sehen), um schwarze Zahlen zu schreiben. Bei Eintrittspreisen von maximal zehn Euro pro Person müssen knapp zwei Drittel der 550000 Euro Gesamtetat durch Kartenverkauf, Standgebühren und Sponsoring erwirtschaftet werden. Neben Pflanzen und Saatgut wurden in den unvermeidlichen weißen Plastikzelten rund um das Schloss auch Strohhüte, Bauernkeramik und gebatikte Seidentücher angeboten. Viktoria von dem Bussche nennt dieses Weimarer Allerlei ganz unbefangen „das Einzigartige am Konzept“. Denn das Drumherum aus Barockmusik, Bratwurst und Autorenlesung lasse Schwellenängste vor der Hochkultur gar nicht erst zu. Was Kritiker Eskapismus nennen werden, beschreibt vielleicht präziser, als uns lieb ist, die Zukunft vieler Kultureinrichtungen.

Tatsächlich unverwechselbar sind vier temporäre Anpflanzungen südlich der hufeisenförmigen Belvedere-Orangerie. Nicht eckig und steinern, wie es der derzeitige neoarchitektonische Trend der Gartenkunst vorgibt, sondern im dezent sinnlichen new exotic style präsentieren sich die Werke der deutschen, britischen und französischen Gestalterteams. Christopher Bradley-Hole inszeniert gemeinsam mit der Hamburger Bildhauerin Insa Winkler auf dem zentralen Beet ein botanisches North meets South aus Wasserbecken, Rosen, Lilien und Süßgräsern. 1500 weiß getünchte Bambusstangen sorgen für die leicht ironische Brechung, die der neue Star der englischen Gartenszene so schätzt.

Im Eröffnungsjahr – selbstbewusst wird bereits bis 2007 geplant – bot sich ein Rekurs auf den Genius loci an: Der traumverlorene Park von Schloss Belvedere, einer Mitte des 18. Jahrhunderts errichteten Sommerresidenz der Weimarer Herzöge, dient als Basislager historischer „Südseeträume“. Jene Liebhaberei für neu entdeckte exotische Pflanzen hatte nämlich auch Goethe und Herzog Carl August erfasst. Damals erlebte die Orangerie ihre Blütezeit. 7900 Pflanzenarten umfasst die Sammlung des Hortus Belvedereanus, die ab 1820 in einem gleichnamigen Katalog publiziert worden ist.

Historische Anknüpfungspunkte für die Hauptausstellung im Südflügel der Orangerie lassen sich also hinter jeder Wegbiegung finden. Ihr Kurator, der Botaniker Wilfried Morawetz, sollte laut Programmheft ein „sinnliches Vergnügen mit kleinen Schockeinlagen“ arrangieren. Doch die Schau über Pflanzenjäger und Sammler der Goethezeit war zum Pressetermin, wenige Stunden vor der Eröffnung, erst in Umrissen erkennbar. Eines ist gewiss: Morawetz verzichtet weitgehend auf historische Objekte, lässt aber zwei Dutzend Videobeamer sprechen. Ob der Direktor des Leipziger Botanischen Gartens mit diesem Trockenfutter gegen die real sprießende Exotik draußen ankommt?

Weimar, Orangerie und Park des Schlosses Belvedere, bis 20. September.

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