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Kultur: Siegfrieds Frauen

Regenschlacht: die Neufassung von Moritz Rinkes „Nibelungen“ in Worms

Es ist ziemlich genau ein Uhr am Morgen, als Held Siegfried nach seinem tänzelden und torkelnden, auch zu rhetorischen Aufschwüngen noch fähigen Todeskampf dem Stich des arglistigen Herrn Hagen erliegt. Worauf Siegfrieds in Trauer triumphierende Schwägerin und Halbundhalbgeliebte Brünhild, die aus Island entführte Walküre, sich im südlichen Worms ihrer nördlichen Feuerkünste erinnert. So legt sie um den Gemeuchelten einen Flammenkranz. Und die Waberlohe, wie ihre Feuersbrunst germanisch-wagnerianisch heißt, sie ist das letzte, finale Wunder von Worms.

Eine südliche Stadt, eine Sommernacht? Es hat zur Premiere der veränderten Neuauflage von Moritz Rinkes „Nibelungen“, welche jetzt die gleichnamigen Freiluft-Festspiele vor dem Wormser Dom eröffnet haben, über Stunden geschüttet. Die Inszenierung Dieter Wedels watete im Wasser, ohne reinzufallen. Vielmehr geriet das Heldendrama bei etwa zehn Grad Mitternachtstemperatur zum doppelt heroischen Gefecht. Die zum Teil in dünnstes Tuch oder gar amazonenhaft vorzeitliche Bikinis gehüllten Schauspieler kämpften unerschütterbar gegen Bronchialkatarrh, Lungenentzündung und die äußere Aufweichung der germanisch-burgundischen, der mittel- bis niederrheinischen Mythenwelt. Die 2400 Zuschauer hingegen, fröstelknisternd unter vorsorglich ausgegebenen Regencapes, kämpften auf den Tribünen spätestens in der vierten Spielstunde mit sich selbst. Dabei bestärkt von dem mitfühlenden Staunen, dass nicht nur die Akteure so bravourös durchhielten, sondern auch Elektrik und Elektronik den Güssen trotzten und selbst die Pyrotechnik am Ende noch funktionierte.

Unter solchen Umständen sieht man es der durchnässten Brünhilden-Darstellerin Annika Pages gerne nach, dass sie zur letzten Lohe nicht mehr den auslösenden magischen Fingerzeig gab. Und ihre Rivalin, die eben frische Siegfried-Witwe Kriemhild, mit eleganter, stolzer Präsenz von Jasmin Tabatabei gespielt, sie hat am Ende auch nicht mehr die Koffer gepackt. Das freilich ist kein Einfall der Regie. Denn die Reise geht auch bei Rinke vorläufig nicht mehr weiter – nicht mehr rheinabwärts, nicht mehr zum nibelungischen Endkampf, zu Kriemhilds Rache, dem Massaker am Hof von König Etzel (alias Attila).

Das alles, was bisher noch zu den „Nibelungen“ gehörte, wird man als Fortsetzung in einem teilweise neuen Rinke-Stück, „Das Ende von Burgund“, im nächsten Jahr mit Wedels Ensemble in Worms erleben. Es ist entwickelt aus dem jetzt gestrichenen Schlussakt der „Nibelungen“; dafür wurde die diesjährige Neufassung unter dem Untertitel „Siegfrieds Frauen“ auf Dieter Wedels Wunsch um etliche Details und vor allem um eine längere Island-Szene als Vorgeschichte des Dramas erweitert.

Wie schon bei der Uraufführung vor vier Jahren (Tsp. vom 19. 8. 2002) verbindet Wedel vor zwei mächtigen Laubbäumen und dem Seitenschiff des innen beleuchteten Wormser Doms das Freilichtspiel mit Filmszenen auf zwei Leinwänden. Diese zeigen Rückblenden wie Siegfrieds Bad im Drachenblut und die Island-Welt Brünhildes, manchmal auch Innenszenen im Dom oder bei Siegfrieds und König Gunthers Doppelhochzeit mit Kriemhild und Brünhild. Das ist zusammen mit schnell in und aus dem Domhof fahrenden Podestwänden voller Sinn für das Spektakel und bisweilen auch Spektakuläre arrangiert.

Allerdings gelingt Wedel, dem Matador der TV-Mehrteiler, die Choreografie der Männer und Krieger erkennbar besser als die dramatische Bewegung von Frauen. Vor allem die weibliche Brünhilden-Gang, neben Annika Pages angeführt von Sonja Kirchbergers Isolde, ähnelt im Video mit gereckten Kinnen, baren Brüsten und softeisigen Blicken einer Mischung aus Leni Riefenstahl und Altherrenträumen. Später auf der Bühne erreicht das noch den Erotikgrad eines öffentlich-rechtlichen Fernsehballetts. Schön dagegen, mit optischen Anleihen bei Claus Peymanns legendärer „Hermannsschlacht“, wie Siegfried (Robert Dölle) im Krieg gegen das Heer der Sachsen über eine gespenstisch gesichtslose Masse aus Helmen, Masken und Schilden triumphiert.

Im Männerensemble fallen Roland Renner als hübsch degenerierter Burgunderkönig Gunther, Christian Nickel als Giselher und der Wormser Publikumsliebling André Eisermann als rheinpfälzischer Burgwächter auf. Herausragend aber Wolfgang Pregler von den Münchner Kammerspielen: Sein Hagen in Schwarzhemd und Schlips eines italienischen Faschisten ist kein nordischer Finsterling und kein Schwergewicht wie 2002 in Worms Mario Adorf. Pregler gibt einen schmalen, kleinen, aber sehr machtbewussten Herrn: den unauffälligen Helden der inneren Sicherheit. Da dringt er durch, selbst in Regen und Wind: Moritz Rinkes eher kammerspielhafter Konversationston, mit dem der schwere Mythos leicht und lebendig ins Heute schwebt.

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