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Kultur: Sieh mich an!

Seelendrama: Peter Mussbach unterwandert Strauss’ „Salome“ an der Dresdner Semperoper

Am Ende küsst Salome, Prinzessin von Judäa, den auf ihren Wunsch abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer. Das blutige Haupt, das trotzige Kind: Jede Werteordnung wird von dieser Vorstellung überstrapaziert. Sie singt: „Was soll ich jetzt tun, Jochanaan? Hättest du mich angesehn, du hättest mich geliebt.“ Es ist eine Szene, in der die Akkordfarben glühen und die Gewagtheit der Situation als künstlerische Wahrheit akzeptiert wird. „Hättest du mich angesehn“ – ein Liebesgedicht.

In Erwartung dieser Worte wird das Publikum in der Dresdner Semperoper zunächst total verblüfft. Denn der Prophet, der als Gefangener des Herodes in schwarzer Zisterne schmachten sollte, um von dort „die Stimme des Jochanaan“ verlauten zu lassen, ist hier von Anfang an präsent und keineswegs verhärmt. Regisseur Peter Mussbach lässt ihn in sandfarbenem Overall wie eine Statue auf der Spitze einer in die Tiefe führenden Leiter thronen. Von Mussbach entworfen, weckt das asymmetrische Bühnenbild Schwimmbad-Assoziationen. In der Mitte ein großer Kubus, kühl wie der Mond, über den gesungen wird, zu steril für das Ausgleiten in Blut, über das auch gesungen wird.

Erster Eindruck: Die Inszenierung kann nicht aufgehen, weil der Text der Oper unterwandert wird. Die Décadence, der exotisch-morbide Anteil, den der Komponist Richard Strauss der Tragödie von Oscar Wilde verdankt, ist im bürgerlichen 20. Jahrhundert angelangt. Dass das Stück keinen Chor verlangt, kommt Mussbachs Regie zugute, die sich auf seine Stärke, die Personenführung der Protagonisten, konzentrieren darf.

Mussbachs derzeitiger Lieblingsdirigent, mit dem er nach Berlin und München zum dritten Mal in dieser Saison zusammenarbeitet, steht nun am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden: Kent Nagano. Mit seiner analytischen Gestaltung ist der Maestro dennoch immer bestrebt, die Sinnlichkeit der Musik zum Klingen zu bringen. Es herrscht feine leitmotivische Dramaturgie, bisweilen siegt auch die Schwierigkeit, in dieser Partitur nicht zu laut zu sein.

Nachdenken über das Wort „ansehen“: Der Prophet ist immer da, wenn über ihn geredet wird, ob von den Juden und Nazarenern, die sich streiten wie hektische Politiker, oder von Salome, ihrer Mutter Herodias und ihrem Stiefvater Herodes. Jochanaan wandert über die Bühne, um Salome gegenüberzutreten. Es entsteht ein magischer Augenblick von Wagnerscher Dimension, so ähnlich wie Senta und der Holländer oder Elsa und Lohengrin einander festgebannt anstarren. Er sieht sie also an, singt aber nicht von dieser Nähe, sondern bleibt in seiner Bahn: Der Sündenbecher der Herodes-Familie sei übervoll.

Mussbach hört aus der Musik, dass Jochanaan längst eine Neigung zu Salome verbirgt, wenn er sie „mit größter Wärme“ beschwört, Jesus von Nazareth zu suchen, damit ihr der Herr ihre Sünden vergebe. „Er ist in einem Nachen auf dem See von Galiläa“ – das ist hier Gesang eines Liebenden in eigener Fessel. Aber Salome, Jungfrau, Prinzesschen im Partykleidchen (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer), will anders angesehen werden. So zwingt sie seinen Blick auf ihren Tanz. Sie entkleidet sich nicht, lässt keinen der traditionellen Schleier fallen, gibt aber der sexuellen Begierde des Herodes nach, um Jochanaan zu treffen. Es entfaltet sich ein Danse à quatres zwischen Salome, Herodias, Herodes und dem Propheten. Jochanaan zuckt zusammen unter dem Todesurteil, das die Prinzessin über ihn fällt.

„Jochanaan, du warst schön“: Die Liebeserklärung der Salome, die ihren Helden so insistierend ansah, singt Evelyn Herlitzius mit bezwingendem Piano und steigert die Partie, anfangs etwas nervös tremolierend, in leuchtende Höhen. Das Ensemble mit Alan Titus (Jochanaan), Wolfgang Schmidt (Herodes), Dagmar Peckova (Herodias), Martin Homrich (Narraboth) und Anke Vondung (Page) ist voller Intensität dabei.

So wächst die Spannung der Inszenierung, die als Seelendrama der Einsamkeiten schließlich doch aufgeht, 100 Jahre nach der Uraufführung des Werks in Dresden. Peter Mussbach, der Seelendoktor, kennt die Seelen und ihre Hysterien. Der vertraute zottelige Jochanaankopf aus der Requisite für Salomes finalen Kuss bleibt ausgespart. Ein Leichentuch verhüllt das Geheimnis der Liebe und des Todes.

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